Kriegserklärungen
Verbrämte Racheaufrufe und Warnungen vor Flüchtlingen / Druck auf Merkel wächst erneut
Ein Anschlag auf die ganze freie Welt, eine Bedrohung der Demokratie, heimtückische Attacke auf unsere Werte und Überzeugungen - in all die schwülstigen und ideologiegetränkten Drohklagen mischt sich schon seit dem ersten Tag nach den Anschlägen von Paris immer häufiger das Wort vom Krieg. Er erfordere nun entsprechend kriegerisches Handeln, heißt es unverhohlen rachsüchtig in Zeitungskommentaren. So weit geht die Politik bisher noch nicht. Doch Warnungen vor eventuellen Rekruten des Terrorismus im Flüchtlingsstrom kommen aus berechnendem Politikermund.
Erneut waren es die Spitzen der CSU, die am Wochenende aus den Anschlägen in Paris den Schluss zogen, nun könne es an den deutschen Grenzen und an den EU-Außengrenzen nicht weitergehen wie bisher. «Wir müssen sehr, sehr schnell festlegen, wie das mit den Grenzkontrollen in Europa und an unseren Binnengrenzen weitergeht», sagte der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer am Samstag am Rande des Landesparteitags der CDU Sachsen in Neukieritzsch. Bayerns Finanzminister Markus Söder erklärte in der «Welt am Sonntag», die Zeit «unkontrollierter Zuwanderung und illegaler Einwanderung» könne so nicht weitergehen. «Paris ändert alles.»
Namentlich Bundeskanzlerin Angela Merkel wird seit Wochen regelmäßig und so auch nach diesem Wochenende mit Wünschen nach Verschärfung gerade erst getroffener Verschärfungsbeschlüsse zu Asylverfahren konfrontiert. Nach den Anschlägen von Paris finden sich «besorgte» Politiker aus CDU und CSU, die Parolenrufer der Pegida und die Kolumnisten selbsternannter Medienflaggschiffe in einem Boot.
Zeitungskommentare vom Wochenende belegen dies. Ein Ungeheuer sei in der muslimischen Welt herangewachsen, das es auf die Ideale des Westens, der französischen Revolution abgesehen habe und nunmehr einen Weltkrieg führe, um diese von der Erde zu tilgen, so die apokalyptische Analyse etwa von Berthold Kohler. Ohne Einschränkung der Freiheit werde die Verteidigung der Freiheit nicht zu bewerkstelligen sein, so der FAZ-Herausgeber. Jetzt müsse Deutschland «sich die Frage stellen, ob die Sicherheit Europas auf syrischem Boden verteidigt werden muss - an der Seite Frankreichs», wirbt ein anderer Kommentator der FAZ offen für ein Eingreifen Deutschlands in den syrischen Bürgerkrieg. Er beschwört eine «Politik der Stärke des Westens und des »wehrhaften Stolzes auf Aufklärung, Rechtsstaat und Menschenrechte«. Und die »Welt am Sonntag« sieht die Zeit reif für eine »Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte. Einer Mitte, die ihre Freiheits-Werte kraftvoll verteidigt. Wir brauchen die wirklich wehrhafte Demokratie. Wir brauchen ein starkes Europa.«
Kein Unterschied ist zu hören zwischen solchen und den Appellen der rechten Pro-Köln-Bewegung an die ums Abendland besorgten Bürger. »Gerade nach solch finsteren Tagen« gelte es, den Einsatz für ein Europa der freien Nationen und der christlich-abendländischen Werte zu zu erhöhen, heißt es in einer Erklärung der rechten Islamfeinde. Jetzt werde man gemeinsam »mit unserer überregionalen Partnerpartei Pro Deutschland in den politischen Angriff übergehen«.
Inzwischen vermischt sich der Streit um den Umgang mit Flüchtlingen nicht mehr nur mit dem über Toleranz gegenüber Muslimen, sondern auch mit der Kritik an Bundeskanzlerin Angela Merkel, der offen Versagen vorgeworfen wird. Das nächste direkte Aufeinandertreffen mit ihren schärfsten Kritikern in der Union ist auf dem CSU-Parteitag am kommenden Freitag zu erwarten. Huldvoll gab sich Parteichef Horst Seehofer am Wochenende. Mit lautstarkem Unmut sei dabei nicht zu rechnen, weil: »Die Disziplin wird stärker sein als die Emotion.« Bei der CSU würden unterschiedliche Positionen »in anständigem Stil ausgetauscht. Da gibt's keinen Krawall.« Am Freitag ist beim Parteitag in München die Gastrede der CDU-Vorsitzenden geplant. Immerhin äußerte Markus Söder bereits seine Erwartungen an Merkel: Diese solle eingestehen, »dass die zeitlich unbefristete Öffnung der Grenzen ein Fehler war«. Merkel solle einräumen, dass nun auch Deutschland überfordert sei und eine Begrenzung der Zuwanderung nötig sei.
Ein wenig unverblümter noch äußerte sich in der »Bild am Sonntag« der CDU-Abgeordnete Klaus-Peter Willsch. Man müsse nun »dazu kommen, Flüchtlinge an den Grenzen zurückzuweisen. Gelingt uns das nicht, werden die Bürger der Kanzlerin das Vertrauen entziehen.« In der Fraktion herrsche »Verzweiflung darüber, dass die Regierungsspitze nicht aufnimmt, was an sie herangetragen wird.« Noch ein wenig direkter hatte es Berthold Kohler in der FAZ formuliert. »Die Deutschen haben nichts gegen ein freundliches Gesicht an der Spitze ihrer Regierung. In solchen Zeiten aber wollen und müssen sie ein anderes sehen: ein hartes.« Mit Agenturen
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.