Seehofers Kalkül

Warum die Drohungen des bayerischen Ministerpräsidenten gegen die Kanzlerin vor allem taktische Gründe haben

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Bayerische Beamte als Grenzer, Verfassungsklage in Karlsruhe, Rückzug der CSU-Minister aus der Berliner Koalition – womöglich ein Bruch der Bundesregierung? Es vergeht derzeit kein Tag, an dem der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Horst Seehofer nicht eine neue Drohung Richtung Kanzlerin Merkel ausspricht. Inzwischen möchte so mancher in der Hauptstadt dem noch nie um markige Worte verlegenen Provinzfürsten am liebsten zurufen: »Dann mach es doch endlich!« Doch lässt es Seehofer tatsächlich zur Ultima Ratio, zu seinen in der »Passauer Nauen Presse« vom Dienstag angekündigten »Notwehrmaßnahmen« kommen?

Mit seiner permanenten Drohkulisse suggeriert Seehofer momentan der Öffentlichkeit, Bayern sei die treibende Kraft der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik. Als Ergebnis seiner Kraftmeierei verkauft er nun das am Wochenende angekündigte Treffen mit Merkel und Vizekanzler Gabriel. Bei genauerer Betrachtung dürfte das Gespräch im Kanzleramt wohl kaum als Erfolg seehoferscher Drohgebärde durchgehen. Was ist so ungewöhnlich daran, wenn sich die wichtigsten Stichwortgeber der drei Regierungsparteien CDU, CSU und SPD zusammensetzen und über die wohl derzeit drängendste Frage im Hinterzimmer austauschen? Ist dies nicht wesentlicher Kernbestandteil der Politik?

Vielmehr braucht Seehofer solche Scheinerfolge. Er weiß nämlich auch: Einen tatsächlichen Bruch mit Berlin kann er nicht riskieren. Der CSU-Einfluss in bundespolitischen Fragen steht und fällt mit der Beteiligung an selbiger und dies hängt eben letztlich an einer gemeinsamen Unionsfraktion, wie auch an den Ministern im Bundeskabinett.

Nicht zuletzt dürfte es sich um einen verzweifelten Versuch handeln, auf bundespolitischem Parkett endlich eine CSU-Forderung durchzusetzen, die auch nachhaltigen Bestand hat. Die bisherige Bilanz sieht für Seehofer diesbezüglich eher schlecht aus: Das Betreuungsgeld wurde ebenso kassiert wie die viel beschworene »Ausländermaut«. Nach solch herben Niederlagen braucht auch ein Seehofer endlich wieder Erfolge, damit der eigentlich immer viel zu hoch bewertete Einfluss der CSU in Berlin nicht schwindet. Die Flüchtlingsfrage gibt dafür ein dankbares Thema ab.

Was oft vergessen wird: Inhaltlich sind sich CDU und CSU in der Flüchtlingsfrage weitestgehend einig. Die Kanzlerin hat längst grünes Licht für die Einrichtung von Transitzonen (Einer Kernforderung aus Bayern) gegeben, wie Merkel Mitte Oktober im FAZ-Interview erklärte. Auch der Widerstand seitens der SPD ist längst nicht so groß, wie es scheint. Zwar sprach sich etwa Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) öffentlich gegen »Massengefängnisse im Niemandsland« aus, schränkte aber gleichzeitig ein: »Deswegen werden wir Möglichkeiten regeln, Asylanträge, die offensichtlich aussichtslos sind, im grenznahen Gebiet beschleunigt zu prüfen. Dies kann auch in bereits bestehenden oder im Aufbau befindlichen Einrichtungen geschehen. Es müssen also nicht per se neue Einrichtungen geschaffen werden. Alle Details werden wir weiter konstruktiv miteinander besprechen.« Vieles in der aktuellen Flüchtlingsfrage hat eher mit der richtigen Wortwahl als den daraus sich ergebenden politischen Konsequenzen zu tun.

Zynisch gesprochen, erleben wir derzeit ein politisches Schauspiel aus der Reihe »guter Cop, böser Cop«, wobei die Rollen zwischen Merkel und Seehofer eindeutig verteilt sind. Die Kanzlerin setzt verbal auf harmonische Töne, in der Praxis hat sie bis auf ihr »Wir schaffen das« allerdings noch nicht wirklich etwas Brauchbares geliefert. Letztlich verhält sie sich ähnlich zwiespältig wie die Mehrheit der Bevölkerung. Der öffentlich zur Schau getragenen Willkommenskultur folgt immer häufiger das große »ABER...«. Nicht anders lässt sich der Zuspruch von 71 Prozent der Bevölkerung laut eines aktuellen ZDF-Politbarometers zur Einrichtung von Transitzonen erklären. Die Öffentlichkeit ist längst auf den Unionskurs eingeschwenkt.

Horst Seehofer dürfte dies im Blick haben: Seine Politik war stets von Umfragen getrieben, egal ob inner- oder außerhalb Bayerns. Am Ende wird er sich als der »große Sieger« präsentieren, wenn die Große Koalition über kurz oder lang eine weitere Brutalisierung im Umgang mit Geflüchteten vornimmt. Ob dieser Ausdruck einer weiteren Entsolidarisierung sich dann Transitzone schimpft, steht auf einem anderen Papier.

Bayerns Landesfürst wird dann auf jeden Fall vor die Presse treten und sich feiern lassen als jener, der es Berlin schon immer gezeigt und vor allem gesagt hat.

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