Allein, es fehlt der Glaube
Albrecht von Lucke befürchtet, dass DIE LINKE eine linke Regierungsbildung in Deutschland blockiert
Er ist Redakteur der »Blätter für deutsche und internationale Politik«, der einflussreichsten Monatszeitschrift der breiteren Linken in Deutschland, die eine Alternative zum neoliberalen Mainstream sucht. Vor diesem Hintergrund ist das Buch von Albrecht von Lucke mit der Entschiedenheit eines Verzweifelten geschrieben. Es liest sich wie ein Thriller, mit vielen Bösen (namentlich Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine), einem Guten (Willy Brandt) und einer großen Hoffnung: die Vorherrschaft der CDU/CSU zu brechen.
Das Problem des Buches liegt aber schon im Titel: Die Bundesrepublik, die von Lucke beschreibt, ist keine »schwarze« Republik. Ihre Geburtsstunde ist die Regierung von Schröder, basierend auf einem »rot-grünen« Parteienbündnis. Seitdem gibt es zwei Mal eine »schwarz-rote« Regierung und einmal eine »schwarz-gelbe«. Von Lucke selbst sieht als Fortsetzung der jetzigen Politik schon eine »schwarz-grüne« Koalition. Wir haben es also mit einem Allparteienbündnis zu tun, dass die heutige Politik trägt. Letzte Ausnahme ist die Linkspartei.
Von Luckes zentrale Diagnose: Nicht die Vormacht der CDU ist die Ursache der Alternativlosigkeit, sondern die Linke selbst. Schuld sei »das Versagen einer Linken, die zu einer eigenen Regierungsalternative nicht willens ist«. Doch um welche Regierungsalternative geht es denn? Es darf nicht vergessen werden: Mit Schröder als Kanzlerkandidat war das rot-grüne Projekt schon tot, bevor SPD und Grüne CDU und FDP als Regierungsparteien ablösten. Am 11. März 1999 zitierte »Bild« Schröder aus einer internen Sitzung des Bundeskabinetts vom Vortag: »Es ist weltweit einmalig, was sich da zusammenbraut, dass sich die gesamte Wirtschaft zurückhält mit Investitionen und bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Es wird einen Punkt geben, wo ich die Verantwortung für eine solche Politik nicht mehr übernehmen werde!« Um 16 Uhr am gleichen Tag war Lafontaine von Bord gegangen. Politik für »die Wirtschaft«, so wurde mit der Agenda 2010 glasklar, war in Schröders Verständnis neoliberale Politik der Standortkonkurrenz unter den Bedingungen des Finanzmarkt-Kapitalismus. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Dies ist das Geheimnis der Fast-Allparteienrepublik. Das Monopol der CDU auf die Kanzler(innen)schaft ist nur der Ausdruck dieser Tatsache. Wieso also sollte die Regierungsbeteiligung der LINKEN daran etwas ändern?!
Von Lucke sieht, dass die LINKE rund zehn Prozent der aktiven Wählerinnen und Wähler bindet, offensichtlich auf Dauer. Das Kalkül der SPD auf den Niedergang der Konkurrenz von links ist nicht aufgegangen. Für Sigmar Gabriel ist damit der 2009 verkündete Versuch, die Mitte von links zu erobern, beendet. Und nach der Wahlschlappe von 2013 sehen auch viele grüne Politiker keinen Sinn mehr in einem linksorientierten Bündnis. Von Lucke empfiehlt als Ausweg den Beitritt der LINKEN zur SPD. Dann würde die gute linke Gesinnung zur Verantwortungsbereitschaft von realer Politik finden. Das alles ist - freundlich formuliert - Ausdruck tiefer Ratlosigkeit.
Liest man das Buch gründlich, so wird eine ernsthafte strategische Frage aufgeworfen: Liefert DIE LINKE mit ihrer Absage an mögliche Einsätze der Bundeswehr - auch mit UN-Mandat und unter UN-Regie - nicht SPD und Grünen den Grund oder Anlass dafür, gar nicht erst nach einer linken Agenda zu suchen? Wenn Tsipras mit seinem Vorstoß der Richtungsänderung der Politik der EU scheiterte, weil Schäuble und nicht Gysi Finanzminister der Bundesrepublik ist, dann stellt sich die Frage schon, wie man SPD und Grüne ernsthaft unter Druck setzen kann, ihren Kurs zu verändern. Voraussetzung wäre harter Wille, eine wirklich andere Politik zu machen, den Richtungswechsel auch einzuleiten. Und der Glaube an den Erfolg.
Es ist zu prüfen, ob eine wirklich linke Regierung tatsächlich unmöglich ist. Der Wind dreht sich. Die politische Landschaft polarisiert sich. Die neoliberalen Mehrheiten werden schwächer. Eine neue Rechte gewinnt Zulauf. Aber die Wahlen von Tsipras zum Ministerpräsidenten in Griechenland sowie jetzt von Jeremy Corbyn in Großbritannien zum Chef der Labour-Partei sind ein Testlauf für die Linke. Der neue Papst redet sozialpolitisch links. In den USA lehrt der bekennende demokratische Sozialist Bernie Sanders bei der Kandidatur für die Präsidentschaft Hillary Clinton das Fürchten.
Die Frage, ob tatsächlich die absolute und bedingungslose Verweigerung für Einsätze der Bundeswehr außerhalb der NATO in der Linkspartei Bestand haben sollte, steht ganz unabhängig von der Regierungsfrage. Dies wurde bei dem völlig gegensätzlichen Abstimmungsverhalten der Abgeordneten der Linkspartei im Bundestag deutlich, als es um die Vernichtung syrischer Chemiewaffen und die Beteiligung der Bundeswehr daran ging. Die Angst, bei Aufgabe dieser Position auf die »schiefe Bahn« zu geraten, ist berechtigt: Weil man nicht an sich selbst glaubt, an Abstimmungen in der eigenen Mitgliedschaft, wenn es dann darauf ankommt, über Sinn oder Unsinn einer solchen Politik zu entscheiden. Man kann dies weise oder feige nennen.
Auf jeden Fall aber muss die Linkspartei um eine linke Mehrheit kämpfen - die Betonung liegt auf links und auf Mehrheit. Allein kann sie diesen Kampf nicht gewinnen. Sie muss sich fragen, ob nicht auch sie Positionen vertritt, die in der Sache falsch und politisch nicht hilfreich sind. Will man sich der Herausforderung bewusst sein, sollte man den Thriller über die schwarze Republik von Albrecht von Lucke zur Hand nehmen und dabei den eigenen Kopf anschalten.
Albrecht von Lucke: Die schwarze Republik und das Versagen der Linken. Droemer, 240 S., geb., 18 €.
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