CDU-Basis will Merkel »entthronen«
Kanzlerin bekommt wegen Flüchtlingspolitik wachsende Widerstand zu spüren / Unruhe in der Fraktion / »Brandbrief« an Merkel inzwischen von über 120 CDU-Funktions- oder Mandatsträgern unterstützt
Berlin. Angela Merkel bekommt immer härteren Gegenwind für ihre Flüchtlingspolitik aus den eigenen Reihen zu spüren. Bei einem Regionalkongress der CDU im nordsächsischen Schkeuditz wurde die Parteivorsitzende am Mittwochabend scharf attackiert - weite Teile der Bevölkerung könnten Merkels »Wir schaffen das« nicht mehr hören, sagte eines der knapp 1.000 anwesenden CDU-Mitglieder, darunter auch zahlreiche Amts- und Mandatsträger. Andere verlangten Grenzschließung oder eine Grundgesetzänderung. Auf einem Plakat war zu lesen: »Flüchtlingschaos stoppen - Deutsche Kultur + Werte erhalten - Merkel entthronen«. Ein CDU-Teilnehmer meinte, die Bundesrepublik drohe in eine »nationale Katastrophe« zu schlittern, sollte der Zuzug von Flüchtlingen nicht gestoppt werden.
Die Kanzlerin erwiderte, dass eine Grenzschließung kaum möglich sei. »Da haben Sie schon mit einem Zaun Mühe«, sagte sie mit Blick auf die Sicherung des EU-Außengrenze in Ungarn. Sie stellte sich zugleich vor das Recht auf Asyl und auf Schutz vor Bürgerkrieg und Verfolgung - dies sei ein Recht sei, das prinzipiell jedem Menschen zustehe. Menschen mit Bleibeperspektive müsse deshalb auch eine Perspektive in Deutschland geboten werden. Angst vor kultureller Veränderung sei unbegründet. »Unser Land hat Konstanten. Und an diesen Konstanten wird sich nichts ändern. Wir haben das Grundgesetz. Und in diesem Grundgesetz gibt es Grundrechte«, sagte Merkel.
Sofern diese für Flüchtlinge gelten, sieht das aber nicht jeder in der Union so. Auch im Bund wird die Unruhe immer größer. In der Unionsfraktion hatte es bereits am Dienstag eine lebhafte Diskussion über die Flüchtlingspolitik gegeben. Mehrere Medien schrieben von einer »denkwürdigen« Sitzung. Einige Parlamentarier verlangten ein schärferes Vorgehen an der deutschen Grenze. »Wir dürfen nicht die weiße Fahne hissen«, sagte der CDU-Innenpolitiker Clemens Binninger nach Teilnehmerangaben. »Wer kontrolliert, muss auch zurückweisen können«, sagte der CSU-Abgeordnete Hans-Peter Uhl.
Am Mittwoch stellten sich zwar namhafte CDU-Politiker hinter den Kurs der Kanzlerin, die eine Obergrenze für die Aufnahme von Asylbewerbern ablehnt. Zugleich aber unterzeichnen immer mehr Parteimitglieder Briefe gegen Merkels Haltung. Laut einem »Bild«-Bericht unterzeichneten den in der vergangenen Woche bekanntgewordenen Brandbrief an Merkel inzwischen 126 CDU-Funktions- oder Mandatsträger, darunter 38 Landtagsabgeordnete.
Hauptforderung der Initiatoren ist ein Aufnahmestopp für Flüchtlinge, die aus sicheren Drittstaaten nach Deutschland gekommen sind. Rund 120 Politiker, darunter CDU-Vorstandsmitglieder, unterzeichneten inzwischen einen Brief unter dem Motto »Wir schaffen das!«.
Bundestag und Bundesrat stellen nun die Weichen für eine Verschärfung des Asylrechts. Das Asylpaket, das an diesem Donnerstag im Bundestag zur Abstimmung steht, umfasst unter anderem die Einstufung von Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsländer, die verstärkte Umstellung auf Sachleistungen, die Einschränkung von Leistungen für abgelehnte Bewerber. Bereits am Freitag sollen die Änderungen den Bundesrat passieren.
In der unionsinternen Auseinandersetzung um die Flüchtlingskrise sieht Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) die volle Loyalität für die Kanzlerin dennoch erhalten. »Selbst diejenigen, die ihre Sorgen in der Flüchtlingsfrage stärker betonen, lassen an ihrer Loyalität zur Kanzlerin keinen Zweifel«, sagte er der »Rheinischen Post«.
Lammert forderte zugleich, die Zuwanderung nach Deutschland zu begrenzen. »Unsere Aufgabe besteht darin, den Zusammenhang zwischen Asylrecht und faktischen Grenzen der Belastbarkeit zu bewahren«. Es sei eine unmissverständliche Selbstverpflichtung der Verfassung, politisch Verfolgten Asyl zu gewähren. Deutschland könne aber diese Selbstverpflichtung nur einlösen, wenn es genauso unmissverständlich klar mache, dass nicht alle diejenigen, die in Deutschland ihre Zukunft begründen wollten, nach Deutschland kommen und hier bleiben könnten. »Die Begrenzung der Zuwanderung ist vielmehr eine notwendige Voraussetzung für das Einlösen des Asylrechts.« Agenturen/nd
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