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In der Tradition von General Schönbohm
Brandenburgs CDU fragt sich, was Konservatismus heute bedeutet
Das Ambiente edel, der Saal restlos gefüllt. Die brandenburgische Konrad-Adenauer-Stiftung hat ins Potsdamer Steigenberger-Hotel eingeladen. Das Thema der Veranstaltung: »Der Wert des Konservativen in der Politik heute.« Gekommen ist auch Ex-Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Er hält einen Festvortrag. Anlass des Treffens: Der vierte Todestag des einstigen CDU-Landesvorsitzenden und Innenministers Jörg Schönbohm, der am 7. Februar 2019 im Alter von 81 Jahren in Kleinmachnow gestorben war. Schönbohm zu Ehren und unter seinem Namen sollen künftig Veranstaltungen dieses Formats durchgeführt werden.
Konservative und Reaktionäre
Im Steigenberger-Hotel herrscht eine bürgerlich-friedliche, gleichwohl etwas ratlose Stimmung. Dass der Konservatismus ein »schwieriger, unpopulärer Begriff« sei, wie Ex- Bundestagspräsident Lammert sagt, scheint noch das geringste Problem der CDU zu sein, die in Brandenburg noch nie eine Landtagswahl gewinnen konnte. Lammert vergisst nicht, die »verhängnisvolle Verbindung« zwischen deutschen Konservativen und der hitlerfaschistischen Bewegung anzuprangern. Sie habe nicht zuletzt dafür gesorgt, dass der Begriff »konservativ« von vielen mit spitzen Fingern angefasst werde. Lammert ist wichtig, auf den inhaltlichen Abstand zu Traditionalisten und Reaktionären aufmerksam zu machen.
Für Lammert ist konservativ, wer Entwicklung voranbringt, aber dabei nicht das Bedingungsgefüge vergisst, das Stabilität ermöglicht. Konservatismus sei »entweder modern oder belanglos«. Der Ex-Bundestagspräsident zitiert den Autor Erich Fried mit den Worten: »Wer will, dass die Welt bleibt wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.« Dabei grenzt sich der Redner deutlich ab von »sich als progressiv verstehenden Zeitgenossen«, die sich, besessen vom Ziel der Selbstverwirklichung, selbst mit den eigenen Wurzeln ausreißen würden, »um nachzusehen, ob diese Wurzeln auch gesund sind«. Für Lammert ist das eine gesellschaftliche Tendenz, die sich eben nicht als eine kurzlebige Modeerscheinung erwiesen habe. Er verweist darauf, dass die CDU »die Relevanz religiöser Überzeugung schon im Firmennamen« trage und sich nicht Partei, sondern Union nenne.
Lammert wartet mit dem Beispiel für einen »großen Konservativen« auf, dem englischen Lordkanzler Thomas Morus, der für seine Überzeugung, der Papstkirche treu bleiben zu müssen, mit dem Leben bezahlte. Weil er seinem König Heinrich VIII. die gewünschte Scheidung von der Ehefrau verweigerte, ließ der König ihn köpfen. Morus sei »kein Vorläufer unseres heutigen Demokratieverständnisses«, stellt Lammert klar. Übrigens hielt einst auch die Sowjetunion die Erinnerung an Morus wach. Er erhielt nach dem Sieg der Oktoberrevolution 1927 ein Ehrengrab an der Moskauer Kremlmauer. Denn mit seinem berühmten Werk von der Insel Utopia malte Morus ein Gesellschaftsmodell aus, das mit dem sozialistischen eine gewisse Ähnlichkeit hatte.
Doch nach Einschätzung Lammerts schneidet das politische System in der Bundesrepublik bei allen Problemen im Vergleich noch recht gut ab. Mit den Zuständen, die in Frankreich und Großbritannien herrschen, »möchte ich nicht tauschen«, unterstreicht er. Was die USA betreffe, traue man sich kaum noch die Erwähnung. Sich Deutschland vorzustellen »als Insel der Seeligen in einem Meer von Wahnsinnigen« sei allerdings auch nicht sehr wirklichkeitsnah.
Keine Rolle spielt an diesem Abend der Wortsinn des Begriffs konservativ: Bewahren, einfrieren, erhalten. Er beschreibt eine Gedankenwelt, die gegen Veränderungen ist. In diesem Lichte wäre die PDS in Ostdeutschland die einzige konservative Partei gewesen, da sie nach der Wende etwas bewahren wollte von der hier gewohnten sozialen Sicherheit, während die anderen Parteien die Verhältnisse umstürzen wollten, die bis 1990 in der DDR geherrscht hatten.
Eine solche Schlussfolgerung von Brandenburgs aktuellem CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann zu erwarten, wäre wohl zu viel verlangt, gleichwohl seine Rede diese Schlussfolgerung nahelegt. Er blickt zurück auf die Zeit um die Jahrtausendwende, als der Ex-Bundeswehrgeneral Jörg Schönbohm, vormals auch Innensenator in Berlin, in die brandenburgische Politik einmarschiert war. Damals litt Redmanns Heimatstadt Wittstock unter einer Arbeitslosenquote von 25 Prozent. »Der Zauber der deutschen Einheit war verflogen«, weiß Redmann noch genau. SPD und PDS hätten diese Gefühlslage recht erfolgreich »bewirtschaftet«. Die PDS erzielte bei der Landtagswahl 2004 fast 28 Prozent der Stimmen. Die Vorstellung von einer »guten alten Zeit – und damit war die DDR gemeint« – habe viele Menschen geprägt, erinnert Redmann. Dem setzte der CDU-Politiker einen mit Jörg Schönbohm verbundenen »Aufbruch« entgegen. Der Konservative Schönbohm habe mitgerissen. Ihm eigen gewesen sei der Respekt vor Andersdenkenden, aber auch »Hass auf Bedenkenträger und Schwarzmaler«, so Redmann, der nach seinem Abitur 1999 und vor seinem Jurastudium bei der Bundeswehr seinen Wehrdienst ableistete und dabei zum Richt-Ladeschützen auf dem Kampfpanzer Leopard 2 ausgebildet wurde. Tatsächlich hatte Schönbohm sogar versucht, PDS-Anhänger als Wähler zu gewinnen, die er als im Herzen konservativ bezeichnete, was zum Beispiel Fragen von Ordnung und Sicherheit angehe.
Eine Frauenquote ist vernünftig
Ob die sozialen Probleme der Provinz gelöst oder nur weggestorben sind, steht dahin. Fast alle Gäste sind im vorgerückten Alter. Die 1991 in Potsdam geborene Beatrice Achterberg, Berliner Korrespondentin der »Neuen Zürcher Zeitung«, darf da als Stimme der Jugend gelten. Was konservativ für sie bedeut? »Vernünftig sein«, »nicht dem Wahnsinn verfallen«. Wahnsinnig sei der Plan, in Berlin große Wohnungsunternehmen enteignen zu wollen. Aber auch die CDU bekam von Achterberg ihr Fett weg. Wenn die Partei sich eine Frauenquote verordne, dann sei sie »offenbar auch vom Zeitgeist gejagt«, stichelt die Journalistin. Fraktionschef Redmann widerspricht ihr. Er hat auch für eine Frauenquote gestimmt, denn »gemischte Teams sind besser, sie liefern bessere Ergebnisse«.
Und wie soll es die CDU mit der AfD halten? Für Achterberg ist die AfD ein »Produkt der Merkel-Jahre« und Ausdruck dafür, dass ein Teil der Deutschen »die ungeregelte Migration nicht wünscht«. Nach der Beobachtung von Fraktionschef Jan Redmann sind die einstigen Hochburgen der Linkspartei bezeichnenderweise heute Hochburgen der AfD: »Die Plattenbausiedlungen.« Eine erneute Verklammerung der Konservativen mit der äußersten Rechten kommt für Redmann nicht in Frage. Der Fraktionschef schickt sich gerade an, zusätzlich Vorsitzender der Landespartei zu werden. Noch bis zum 3. März läuft eine Mitgliederbefragung zu der Frage, ob Redmann das Parteiamt vom aktuellen Innenminister Michael Stübgen übernehmen und den Landesverband in den Landtagswahlkampf 2024 führen soll, nachdem Stübgen wie angekündigt nicht weitermacht. Am Dienstagabend um 19 Uhr sollte es eine digitale Mitgliederkonferenz geben, bei der sich Redmann noch einmal vorstellen sollte. Er ist bislang der einzige Bewerber für die Nachfolge von Stübgen.
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