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- Corona und soziale Folgen
Langsamkeit bei Schnelltests
Noch immer gibt es logistische Probleme und ungeklärte Fragen bei einem unumstrittenen Thema
Eigentlich sollten seit Anfang dieser Woche kostenlose Corona-Schnelltests in Apotheken, Praxen oder speziellen Testzentren impfen für alle bereitstehen. Dies ist eine Voraussetzung, um die von den meisten Bürgern, aber auch vom Einzelhandel und der Reisebranche herbeigesehnten Lockdown-Lockerungen zu realisieren. Die Ankündigung von Gesundheitsminister Jens Spahn war aber von Kanzlerin Angela Merkel höchstselbst einkassiert worden - eine Entscheidung über den Anspruch aller Bürger auf kostenlose Antigentests soll frühestens bei ihrem Treffen mit den Ministerpräsidenten an diesem Mittwoch fallen. Spahn selbst relativierte mittlerweile, kostenlose Tests werde es zunächst nur bis 30. Juni geben.
Die Planänderung ist nach Angaben des Bundesfinanzministeriums nicht auf fehlendes Geld zurückzuführen - bis zu 50 Milliarden Euro stünden dafür bereit. Es gibt aber praktische Probleme bei der Umsetzung des Vorhabens: Die Regierung hat 800 Millionen Testkits bestellt, doch bis diese ausgeliefert sind, dauert es. Und dann hakt es auch bei der Logistik: Nicht in allen Apotheken gebe es die notwendigen Voraussetzungen, wie die Präsidentin der Branchenvereinigung ABDA, Gabriele Regina Overwiening, der »Rheinischen Post« sagte. So seien etwa hohe Anforderungen an den Arbeitsschutz wie separate Räumlichkeiten und besondere Schutzkleidung erforderlich. Bereits die bislang zugänglichen Antigentests für Selbstzahler würden je nach Bundesland in nur bis zu zehn Prozent aller Apotheken durchgeführt.
Können die allerdings nicht kostenlosen Selbsttests für zu Hause, die es bald selbst im Supermarkt geben soll, das logistische Problem lösen? Mittlerweile haben mehrere Produkte die Zulassung in Deutschland erhalten. Sie sind angenehmer in der Anwendung, da es nur einen Abstrich in der vorderen Nase braucht, und sehr einfach. Als erstes kündigte jetzt eine Drogeriekette an, ab kommenden Montag den Verkauf, zunächst online, zu starten. Der Preis ist noch unklar, er soll angeblich zwischen fünf und zehn Euro liegen.
Die Laienselbsttests müssten von den Antigentests getrennt betrachtet werden, lautet allerdings die Devise in der Politik. Sie könnten etwa in Schulen unter Aufsicht zum Einsatz kommen. Oder im privaten Bereich für Leute, die zur Familienfeier gehen wollen. Ein negativer Zuhausetest soll aber nicht als Freifahrtschein für Shoppingtouren oder Urlaubsreisen gelten. Zu groß ist aus Sicht der Politik die Gefahr, dass Leute Tests falsch durchführen oder ein positives Ergebnis nicht ans Gesundheitsamt weitergeben.
Die boomende Branche der professionellen Medizinlabore bangt indes um ihr Geschäftsmodell. »Positive Ergebnisse immer mit PCR abklären!«, fordert der Vorsitzende des Branchenverbands ALM, Michael Müller. Es gehe darum, »falsch positive Ergebnisse zu verhindern«. PCR-Tests, als »Goldstandard« eingestuft, werden aufwendig in Laboren ausgewertet, sind aber auch nicht fehlerfrei.
Die Langsamkeit bei der Änderung der Teststrategie ist erstaunlich, da über den massenhaften Einsatz von Schnelltests schon seit vielen Monaten intensiv diskutiert wird. Alexander Kekulé, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie des Universitätsklinikums Halle (Saale), kritisierte im August in seinem MDR-Podcast, dass in Deutschland keine Antigen-Schnelltests zum Einsatz kämen. Es gehe darum, dass »möglichst viele Menschen die Möglichkeit haben, festzustellen, ob sie positiv sind«, so der Virologe. Auch psychologisch sei es »ganz wichtig, den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich selber zu testen, möglichst schnell zu testen«.
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