In Opferpose
personalie
Radebeul, deine Dichter! Nicht nur Karl May verhalf dem idyllischen Ort bei Dresden, der sich - ähnlich größenwahnsinnig wie die Landeshauptstadt (»Elbflorenz«) - als »sächsisches Nizza« preist, zu mehr oder weniger zweifelhaftem Ruhm. In den letzten Wochen brachte ihn vor allem der hier ansässige Lyriker und Romancier Jörg Bernig Schlagzeilen. Beziehungsweise die Entscheidung des Stadtrats, den 56-Jährigen zum Kulturamtsleiter zu wählen. Den Ausschlag gaben im zweiten Wahlgang die Stimmen der AfD. Im ersten waren weder er noch seine Gegenkandidatin auf die erforderliche Stimmenzahl gekommen.
Der in Wurzen geborene Bernig, der 2013 den Kunstpreis der Stadt Radebeul erhielt, tut sich spätestens seit 2015 als Autor der Neuen Rechten hervor. Wie gewöhnliche Neonazis fabuliert er vom Bevölkerungsaustausch (bzw. der »ethnischen Modifizierung«) in Deutschland, an dem dunkle Mächte arbeiteten, also von der Verdrängung der Alteingesessenen durch massenhaft »illegal« eingewanderte »Kulturfremde«.
Die Wahl Bernigs am 20. Mai sorgte bundesweit für Empörung. Und auch eine Radebeuler Künstlerinitiative forderte deren Annullierung. Daraufhin legte Oberbürgermeister Bert Wendsche (parteilos) auf der Grundlage der sächsischen Gemeindeordnung sein Veto ein und gab die Entscheidung zur erneuten Prüfung an den Stadtrat zurück. Die Wahl sollte am 15. Juni wiederholt werden.
Jetzt hat Bernig dem OB per Brief mitgeteilt, er stehe für eine erneuten Wahlgang nicht zur Verfügung. Noch einmal anzutreten hieße, »ideologische Handlungsweisen als Teil der Normalität anzuerkennen und zu rechtfertigen«, schreibt der Autor. In der Auseinandersetzung um das Kulturamt sieht er »ein Menetekel der Beschneidung von Freiheit« und »Handlungsweisen aus dem Repertoire des Totalitären«. Ob die erneute Wahl am Montag mit nur einer Kandidatin stattfindet, war am Freitag noch offen. Der Verein Radebeuler Kultur, der gegen das Votum für Bernig protestiert hatte, plädiert für eine Neuausschreibung der Stelle. Jana Frielinghaus
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