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- Peter Handke
»Ich bin mehr auf dem Gehenden statt dem Laufenden«
Viel lustiger als die dröge und am Kitsch siedelnde Prosa des Großliteraten Peter Handke sind seine Interviews
Nicht dass man den alljährlich veranstalteten Medienzirkus um die Vergabe des Literaturnobelpreises nicht schon zur Genüge kennen würde, er findet ja zuverlässig Jahr für Jahr statt. Außer letztes Jahr, in dem die Preisverleiher ausnahmsweise aussetzten, weil es im Umfeld der Schwedischen Akademie zu sexueller Belästigung und Vergewaltigung gekommen war und etliche ihrer Mitglieder in der Folge zurückgetreten waren. Weswegen sich dieses Jahr nun gleich zwei Künstler über die je 830 000 Euro Preisgeld freuen können. Eine weniger berühmte polnische Schriftstellerin: Olga Tokarczuk. Und ein berühmter österreichischer Schriftsteller: Peter Handke, der weltbekannt ist für seine grandiosen Einschlafhilfen in Buchform, in denen es viel und ausgiebig um seine Wahrnehmungen und Befindlichkeiten und allerlei andere Nichtigkeiten geht.
Leider aber ist der Spaßmacher Handke bis heute weniger bekannt für seine wunderbaren, häufig vergnüglich zu lesenden Interviews, die der »Hochangereizte im Grandhotel Größenwahn« (Eckhard Henscheid) in der Vergangenheit gab und in denen er, je nach Tagesform, immer wieder wahlweise kryptische oder rotzfreche Antworten zu geben pflegte. »Ganz Deutschland ist dunkel«, antwortete er beispielsweise einmal in den 90er Jahren, als die Bundesrepublik Deutschland Jugoslawien militärisch überfiel, sehr treffend in einem Interview mit der Tageszeitung »Junge Welt«. Die Frage habe ich nicht mehr präsent, aber Handkes Satz stimmt bis heute. Die französische Tageszeitung »Liberation« fragte den Großliteraten einmal dreist: »Warum schreiben Sie?« Darauf Handke: »Ich weiß es nicht. Vielleicht morgen.« Mehr als denkwürdig ist auch ein legendäres Interview, das der »aufgeblasene Kasper« (E. Henscheid) Peter Handke im Jahr 2016 in der österreichischen Botschaft in Paris gab. Gefragt nach seiner Einschätzung der Debatte um die »Verteidigung europäischer Werte«, antwortete der Schriftsteller zunächst mit einem seiner typischen und von niemandem zu imitierenden Gaga-Sätze: »Ich bin nicht auf dem Laufenden da, ich bin mehr auf dem Gehenden statt dem Laufenden.« Um schließlich im Fortgang des Gesprächs immer mehr Zunder zu geben und ordentlich aufzudrehen: »Die Werte sind im Hüpfschritt eines Kindes, das ist für mich Musik. Die Augen der Menschen sind ein Wert, die Blicke. Nicht die ›europäischen Werte‹. Arschlöcher!«
Seine Schriftstellerkollegen von der »Gruppe 47« wiederum, darunter auch Günter Grass, bezichtigte der noch junge und sich seinerzeit als eine Art Sprachrebell verstehende Dichter Peter Handke einst der »Beschreibungsimpotenz«. Später, spätestens in den 80er Jahren, kam dann die Wendung des Vielschreibers »vom Provozierenden ins Feierliche und Erhabene, ins Bedeutungsschwangere und sakral Umwölkte« (»FAZ«).
Thomas Bernhard schrieb über seinen Landsmann Handke einmal den schönen Satz: »Ich möchte keines seiner Bücher geschrieben haben, aber alle meine.«
Offensichtlich ist, dass auch nach der sogenannten personellen Erneuerung der Schwedischen Akademie die Fortsetzung althergebrachter Traditionen gesichert ist: In der Regel bekommt den Preis ein verdienter Mummelgreis (Günter Grass, Harold Pinter, Bob Dylan, Mario Vargas Llosa) oder eine verdiente Mummelgreisin (Alice Munro, Doris Lessing), der oder die eher mittelgute bis erbauliche Romane produziert oder mittelgute bis erbauliche Lieder (Bob Dylan) geschrieben hat, auf die sich meist alle sozialdemokratisch-evangelischen Teestuben-Intellektuellen rasch einigen können. Hierzu passt auch die Vergabe des diesjährigen Literaturnobelpreises an den demnächst 77 Jahre alt werdenden Peter Handke, der sich bevorzugt als kauziger Träumer und feinsinniger Superkunstguru inszeniert und dessen langatmige, oft exzessiv Nabelschau treibende, nicht selten sprachlich geschwollene und nah am Kitsch siedelnde Prosa exakt dem literarischen Geschmack des sich für distinguiert haltenden »Zeit«-Lesers entspricht. Oder anders gesagt: »Die besondere Kunst von Peter Handke ist die außergewöhnliche Aufmerksamkeit zu Landschaften und der materiellen Präsenz der Welt.« So wenigstens formuliert es, wie immer ebenso salbungsvoll wie nichtssagend, die Schwedische Akademie.
Kurzzeitig wird so der Absatz mittelmäßiger bis halbschlechter Literatur eminent erhöht: In Buchhandlungen herrscht nun blanke Hysterie, weil man fürchtet, von der mittelgut-erbaulichen Literaturware nicht genug am Lager zu haben, um den soeben stark steigenden Bedarf zu decken. Denn schließlich werden von ausnahmslos allen Buchkäufern jetzt mindestens vier Tage lang nur Bücher der beiden Preisträger bestellt und erworben, als gäb’s kein Morgen und keine anderen Schriftsteller. (Im Gebrauchtwaren-Internet-Shop »Medimops« waren beispielsweise Tokarczuks Romane innerhalb von 20 Minuten ausverkauft.) Der Markt, er funktioniert tipptopp, auch und vor allem auf dem Handelssektor Kultur.
Nahezu sämtliche Zeitungen heben heute die zwei Preisempfänger routinemäßig auf ihre Titelseiten, und das obwohl praktisch so gut wie kein Mensch mehr Literatur liest, die diese Bezeichnung verdient, am wenigsten die Feuilletonisten, von denen die meisten entweder zugeben, sich für Literatur »nicht zu interessieren«, oder mittlerweile eine Aufmerksamkeitsspanne besitzen, die nach der Lektüre von circa 11 bis 27 Twittermeldungen erlahmt ist. Da dürften sie es auch künftig schwer haben mit einem Ziegelstein wie Handkes »Mein Jahr in der Niemandsbucht« (1066 Seiten, 40 Euro). Ja, genau, so wie der Roman heißt, so liest er sich auch. Über die Rezensenten von Handkes Büchern schrieb die »FAZ« übrigens einmal: »Je begeisterter sie sind, desto abstrakter und dunkler werden die Gedanken und Begriffe, mit denen sie ihr Lob begründen.«
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