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»… um das Mögliche zu werden«
Eva und Erwin Strittmatter: Der Briefwechsel von 1952 bis 1958 liest sich wie ein spannender Liebesroman
Wer könnte heute noch solche Briefe schreiben! So poetisch im Stil, so überschwänglich im Gefühl - wer würde heute solche Worte wagen! Diesen Band lesend, spürt man auf jeder Seite, was verloren geht in dieser hektischen, nüchternen Zeit. Bei Eva und Erwin Strittmatter kam freilich noch etwas hinzu: Ihr Liebeswerben ist lebenswahr und doch zugleich Kunst gewesen. Liebespoesie, die ihnen unwillkürlich aufs Papier floss, an der sie womöglich auch feilten. Sie wetteiferten darin, damit sie einander ebenbürtig würden. »Vater glaubte, es sei vorbestimmt gewesen, dass sie sich im Februar 1952 kennengelernt hatten«, schreibt Erwin Berner im Vorwort zu dem von ihm herausgegebenen Band. »Mutter beharrte auf dem Zufall. Alles hätte auch anders kommen können …« Dass es eine schicksalhafte Begegnung sei, hatten wohl beide gewollt.
»Du bist mein zweites Ich« - die titelgebende Zeile aus einem Brief Erwin Strittmatters vom 15. Juni 1952 spricht von seiner Verliebtheit, davon, wie er seine Wünsche auf sie projiziert. Das völlige Einssein mit dem anderen, die Entgrenzung des eigenen Ich - welches Glück flammt da auf und möchte Ewigkeit werden. Wer diesen Band liest, wird fasziniert sein, wie da eine Liebe zelebriert wird in Sprache, wird staunend erleben, wie da zwei in Sehnsucht schwelgen. Aber haben sie sich wirklich dasselbe erhofft?
Vor dem Hintergrund dieser Frage wird der Briefwechsel zu einem Liebesroman voller verborgener Dramatik. Spannung entsteht beim Lesen, wenn man sich in die Frau, in den Mann hineinversetzt, ihren Worten nachlauscht, um auch das Nichtgesagte zu erspüren. Ich gebe zu, dass mir das leichter fällt, weil ich für das Buch »Leib und Leben« Gespräche mit Eva Strittmatter geführt habe, die sehr weit ins Persönlichste reichten. Wie sie eines Morgens im Bett seine Füße sah und über den Altersunterschied erschrak, das hat sie ihrem späteren Mann natürlich nicht geschrieben. Denn sie wollte, dass er das werden sollte: ihr Mann. Sie war 22, als sie sich trafen, hatte schon eine gescheiterte Ehe hinter sich und einen sieben Monate alten Sohn, den sie zur Mutter gegeben hatte. Denn nach einem Germanistikstudium musste sie in Berlin doch irgendwie Geld verdienen. Durch einen glücklichen Zufall kam sie als Mitarbeiterin zum Schriftstellerverband. So lernten sie sich kennen.
Seinen ersten Brief, den er ihr am 26. Februar 1952 aus Spremberg schrieb, hat sie bis zuletzt auswendig gekannt. »Ich weiß von Dir nicht viel, ich kenne Dein Leben nicht«, hatte sie ihm geantwortet. »Ich weiß nur eines: dass du traurig bist. Ich sehe dich aber anders, in einer ganz anderen, möglichen Art.« Dieses aufs Mögliche gerichtete Streben war es, das beide lebenslang über viele Krisen hinweg beieinander hielt. Er war damals 39, hatte Not erlebt, war im Krieg gewesen. Dass er Schreiber in einer Polizeieinheit gewesen war, die unter anderem gegen griechische Partisanen eingesetzt war, erfuhr man erst nach seinem Tode. Über seine persönliche Beteiligung wissen wir nichts, und Eva rührte nicht an das Dunkel in seiner Seele, das indes vielerlei Ursachen hatte. Sie bewunderte den damals schon bekannten Autor des Romans »Ochsenkutscher«, war mitgerissen von seinem Begehren, das sie erhöhte. Es rührte sie, wie er ihr verfallen war.
»Du Mädchen Eva«, nennt er sie in seinen Briefen, »Traumfrau«. Die Fotos im Band wird man lange betrachten. Was hat sich wohl hinter diesen Stirnen abgespielt? »Ich möcht doch so gern wieder einmal ein ganzer Mensch sein«, schreibt Erwin Strittmatter am 5. März 1952. Was für ein Sehnen! Wenig später die Warnung, er sei einer, »mit dem es sich schlecht leben lässt«. Und im selben Atemzug dann: »Ich könnte stundenlang ›Eva, Eva‹ schreien.«
»Ich möchte dich auskennen und dabei doch nie ans Ende kommen«, schreibt sie. Ein knapper Satz, in dem ein langer Text zu stecken scheint. Was sie später über ihre Gedichte sagte, wie sie erst durch »leere Stellen« Tiefe bekommen, hier zeigt sich diese Kunst schon in ihrem Stil. Sprache birgt bei ihr zugleich ein Schweigen. Natürlich möchte sie, dass er sich von seiner Familie trennt und mit ihr zusammenzieht. Doch nie begibt sie sich auf das Niveau banaler Forderungen. Über vier Jahre vergehen, bis er sie heiratet. Sei’s drum, schon vorher nimmt sie seinen Namen an. »Lieber, mein Mann!« - wenn Briefe so beginnen, kann sich der Angesprochene geborgen und nicht vereinnahmt fühlen.
»Jeder schöpferische Mensch ist irgendwo in einer Herzkammer ein krasser Egoist um seines Werkes willen«, bekennt Erwin Strittmatter schon zu Beginn der Beziehung. Der Briefband hilft mir, auch ihn zu verstehen. Vorrang vor allem hat seine Kunst, die wiederum mit dem Bild zusammenhängt, das er von sich hat. »Dein Wesen ist für mich wie ein Feuer, durch das ich gehe, um das Mögliche zu werden.« Er verklärt sie im Sinne seines Lebensentwurfs. Eva wird mit ihm an seinen Werken arbeiten und später selbst als Dichterin berühmt werden.
Dabei wird sie sich auch in das Los einer Bauersfrau schicken müssen. Man liest von Spannungen, als sie sich mit Ilja, dem Sohn aus erster Ehe, und dem 1953 geborenen Erwin in ihrer Wohnung in der Berliner Karl-Marx-Allee aufhält, während der Mann allein mit den Pflichten in Schulzenhof zurechtkommen muss. Da erlebt man ihn überfordert und gekränkt - ohne Gedanken daran, wie es wohl seiner Eva mit den kleinen Kindern geht. »Deine Tage sollen leuchten durch mich … Deine Arbeit wird immer der Mittelpunkt unserer Tage und Quelle für unsere Liebe sein«, das hatte sie ihm doch versprochen. Er wünschte sich literarische Berühmtheit mit einer inspirierenden Frau an seiner Seite. So weit, so gut. Dass er aus Schulzenhof eine Bauernwirtschaft machen wollte, für die ihm der Vater Anerkennung zollen würde, hat sie freilich nicht gewusst. Und er stellte sich nicht vor, dass sie sich Kinder mit ihm wünschte …
»All denen, die auch eine leicht verquere Kindheit hatten« - das stand als Motto über Erwin Berners »Erinnerungen an Schulzenhof« (2016). Er wollte über Kränkungen sprechen, und er wollte seine Eltern verstehen. Das hat er mit diesem Band fortgesetzt. »Jeden Schnipsel« ihres Schreibens haben sie aufgehoben - in der Hoffnung, es könnte später noch einmal wichtig werden. Bevor Erwin Strittmatter am 31. Januar 1994 starb, hat er noch gesehen, was aus dem kleinen Erwin, diesem verletzlichen Wesen, geworden war: ein Schauspieler, der seinen eigenen künstlerischen Weg ging und deshalb den Namen seiner Urgroßmutter annahm. Dass Erwin Berner eines Tages ihn, den Vater, wieder neu ins Bewusstsein heben würde, ahnte er nicht. Und wie stolz wäre erst Eva Strittmatter gewesen, dass er verwirklichte, was sie selber nicht mehr schaffen konnte: der Öffentlichkeit die Zeugnisse einer großen Liebe zu präsentieren, die zum Lebenswerk des Dichterpaars gehörte. Wie sorgfältig er dabei in Zusammenarbeit mit Ingrid Kirschey-Feix zu Werke ging - bis zum Personenregister und einem ausführlichen Anmerkungsteil (der unbedingt mit zur Lektüre gehört), darüber wäre sie des Lobes voll gewesen.
Eva Strittmatter, Erwin Strittmatter: »Du bist mein zweites Ich«. Der Briefwechsel. Herausgegeben von Erwin Berner und Ingrid Kirschey-Feix. Aufbau Verlag. 377 S., geb., 24 €.
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