Das Schöne der Inseln
Zum Tod des Schriftstellers, Regisseurs und Übersetzers Werner Buhss
Wenn wir auf Hiddensee - bisweilen - ein wenig schwätzerisch miteinander schwiegen, sprach Werner Buhss gern und ungern von Dichters Zwang, sich ausgerechnet in die Nähe des Meeres zu begeben. »Diese Regsamkeit des Wassers, diese wandelbaren Gesichte, das macht deinem starren Ausdrucksvermögen ständig ein schlechtes Gewissen.« Na ja, das mag auf den Ozean zutreffen! Aber Werner, vergiss nicht, wir sitzen doch bloß der Ostsee gegenüber. Heftiger Gegenspruch: »Was weißt denn du! In Krisen kann dich selbet ein Teich stürzen, ein leichter Wind genügt, die Wellen, welche Ausdrucksvielfalt«. Auch an Ufern kleinster Meere sei, so Buhss, sei das Ozeanische nicht geringer, also auch die Not nicht, das schöne Unfassbare in einen gültigen Ausdruck zu bringen. So der Dichter, und Barkeeper »Gurke« am Tresen goss nach.
Buhss war Erzähler, Dramatiker - und Übersetzer. Neben Heiner Müller, Thomas Brasch, B. K. Tragelehn, Frank Günther gab es keinen anderen, dessen Übertragungen (von Shakespeare, von Tschechow, von Goldoni) so ereignisreich eigen, so hervordrängend charaktervoll waren. Er übersetzte nicht, er setzte über - und kam zurück mit Beute, die ein Geschenk war an den Ursprung. So frech wie sensibel. Und in seinen eigenen Stücken sah er das Existenzielle näher am Profanen als am Tragischen. Keinerlei hochtönend heroischer Pomp. Statt tragischer Arroganz ein geradezu beschwingter Pessimismus. Zarteste Seelen-Kammermusik. »Bevor wir Greise wurden« bekam den renommierten Mülheimer Dramatikerpreis.
Die Gestörten waren seine Gewährsmänner. Grabbe etwa, Jessenin. Er wurde viel gespielt, schrieb Dutzende Hörspiele, war ein kluger Laudator und hätte weit mehr Scheinwerferlicht verdient. In seinem Stück »Die Festung«, nach Dino Buzattis Roman »Die Tatarenwüste«, porträtiert er ein nationales Binnendenken, das eines nicht begreift: Das Störende kommt nicht von ferne, es ist stets der Feind in uns selbst - wer also Gefährdungskeime bei Fremden sucht, der forsche niemals außerhalb der Mauern, sondern im Inneren, wo die Selbstgewissheit klebt.
Der gelernte Stahlbauschlosser war Assistent bei der DEFA, studierte in Babelsberg Regie. Nun ist Werner Buhss, der 1949 in Magdeburg Geborene, 69-jährig gestorben. Er war selbsttreuer Idealist und listiger Ausweichler, offener Querulant und redlicher Durchhalter. Er liebte Bakunin und Sandalen. Und Island. Sein letzter Lebensort - das nahm aber seiner Hiddensee-Liebe nichts weg. Jedes Eiland ist Erlösung: Was sollen Utopien, wenn es tolle Wetter gibt. Und Sonnenuntergänge auf Inseln sind allemal Trost. Werner, es ist doch schön, mit nichts durch den Wind zu gehen! Die Asche des Dichters wird sanft und leicht - als stiege sie auf - ins Meer sinken.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.