Zwillinge

Ekaterine Togonidze

  • Steffi Chotiwari-Jünger
  • Lesedauer: 3 Min.

Was fällt Ihnen ein, wenn Sie den Begriff »Siamesische Zwillinge« hören? Sicher zuerst deren ungewöhnliches Äußeres. Ekaterine Togonidze (geb. 1981) interessiert sich indes für die Seelen der untrennbar miteinander verbundenen Mädchen. Diana und Lina besitzen nur einen Unter- und zwei Oberkörper. Da sie auf Gedeih und Verderben alles gemeinsam erleben, sehen sie ihre einzige »Freiheit« im Schreiben eines Tagebuches. So wechseln sich ihre Aufzeichnungen ab, und es erstehen vor uns nach und nach zwei unterschiedliche 16-Jährige, die ein und dieselbe Situation, Handlung oder Person verschieden einschätzen und beschreiben.

In der ersten Hälfte des Buches findet ihr Leben »drinnen« statt, das heißt: Sie wachsen abgeschottet und behütet bei ihrer Großmutter, einer Lehrerin in Rente, in ärmlichen Verhältnissen auf. Mutter Elene war bei ihrer Geburt gestorben; Vater Rostom hatte sich gleich nach der Feststellung der Schwangerschaft aus dem Staub gemacht. Die einzigen Kontakte nach »draußen« sind der dem Alkohol zugetane Verwandte Zaza, Bücher, Zeitschriften und der Fernseher. Als die Großmutter stirbt und ein Hochwasser das Haus samt Hof wegspült, beginnt ihr Leben »draußen«, zuerst beäugt von Ärzten und Krankenschwestern, dann eines Nachts verschachert an einen Zirkus. Sie werden eingesperrt, geschminkt, ihnen werden die Haare abgeschnitten, sie lernen Kunststücke, erhalten ein wenig Gage. Doch manchmal müssen sie auch für Einzelpersonen unter Rotlicht auftreten. Ein Zwilling verliebt sich … Es geht turbulent und manchmal beängstigend zu. Plötzlich taucht Zaza auf. Man hofft auf Rettung, aber er will nur das Geld der Zwillinge. Und es kommt noch schlimmer ...

Der leibliche Vater der Mädchen wird gesucht und gefunden. Sein Leben und seine Auseinandersetzung damit, Vater siamesischer Zwillinge zu sein, wird von Anfang des Buches an parallel zu den Tagebuchaufzeichnungen eher stichpunktartig berichtet, denn er besitzt nicht das reiche Innenleben seiner Töchter, ist rückgrat- und verantwortungslos.

Die erzählte Geschichte vollzieht sich vom März bis September eines Jahres (nach 2008). Offensichtlich sollte es genauere Angaben nicht geben, genauso wie die örtlichen Gegebenheiten keine Rolle spielen, um mehr Allgemeingültigkeit zu erzeugen. Nur vereinzelt und sparsam werden georgische Begriffe eingeführt, und selbst russische Wörter (die Zirkussprache ist oft Russisch) sind für den deutschen Leser nicht erklärt, weil die Zwillinge sie ja ebenfalls nicht verstehen. In Georgien werden dem Leser die Worte dwojka, molodez, ni pucha - ni pera, komanda und andere wohl bekannt sein, aber nicht hierzulande. Gewiss war es die bewusste Entscheidung der Übersetzer und des Verlags, sie nicht in einem Register zu erläutern - alles ist dem Blickwinkel der Schwestern untergeordnet.

Der deutsche Titel weicht vom Original ab. In der georgischen Ausgabe heißt der Roman »Nicht synchron«, womit betont wird, dass jedes Mädchen der Zwillinge eigenständig ist, mit der anderen schwimmt oder tanzt. Das Leben ist komplizierter.

Ekaterine Togonidze: Einsame Schwestern. Roman. A. d. Georg. v. Nino Osepashvili und Eva Profousová. Septime, 179 S., geb., 20 €.

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