Bikulturell
Fikry El Azzouzi
Dass geschlechterübergreifendes Schreiben - eine Autorin wird zum männlichen Ich-Erzähler, ein Autor erzählt die Geschichte aus weiblicher Sicht - ganz wunderbare Perspektiven eröffnet, bewies jüngst wieder die großartige Marie N’Diaye mit ihrem Roman »Die Chefin«.
Fikry El Azzouzi, 1978 in Temse, Belgien, geboren und mit marokkanischen Wurzeln, versucht sich im Gegenblick: Ein Mann schreibt als Frau. Und scheitert furios. Natürlich: Literatur darf alles. Doch wer eine Erzählung so nah an der Realität verortet - marokkanische Migranten in Belgien, zweite, dritte Generation, islamistischer Terror, binationale Beziehungen und eine Gesellschaft, die an ihren massiven Vorurteilen zu zerbrechen droht -, der muss sich am eigenen Anspruch messen lassen.
El Azzouzi erzählt die Geschichte der rothaarigen Eva »mit Sommersprossen und Kulleraugen«, die mit ihrem derzeitigen Freund - Studienabbrecher wie sie selbst - ein Restaurant betreibt, sich von ihm trennt und eine Beziehung mit Ayoub, dem Tellerwäscher (ihrem Angestellten) beginnt. Der wird im Buch durchgehend entwürdigend und rassistisch »Abu Abwasch« genannt. Auch von ihr, der Biobelgierin, die sich bald redlich bemüht, ein paar arabische Koranbröckchen zu lernen. Sie findet keinen Weg zu dem Mann, den sie zu lieben glaubt. Nicht zuletzt, weil sie sich mit der in jeder Lebenslage quälenden Frage herumschlägt, ob Ayoub so aufbrausend ist, weil er Muslim ist oder weil es eben seinem Wesen entspricht. Viel mehr geschieht eigentlich nicht. Da sind ein Freund Ayoubs, eine Freundin Evas, Gefühle, Fragen, Andeutungen, aber nichts, was einen Roman tragen würde. Schnell gelesen, schnell vergessen.
Die Idee, eine bikulturelle, bireligiöse Liebesgeschichte zu erzählen, ist an sich nicht schlecht. Aber so platt und undynamisch, wie hier vermittelt, ist keine Beziehung. Gleichgültig, wie groß die Unterschiede zwischen den Partnern sind, gleichgültig, wo sie herkommen oder aufwuchsen.
Fikry El Azzouzi: Sie allein. Roman. Aus dem Niederländischen von Ilja Braun, Dumont, 256 S., geb., 22 €.
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