Das japanische Messer
Sami Maani: «Teheran Wunderland», ein vielschichtiger, irritierender Roman, der ein Weiterfragen anregen kann
In einem Lokal namens «Deutsche Gemütlichkeit» wird dem Ich-Erzähler Perfides enthüllt - von drei Brüdern aus Teheran, wahrscheinlich auf Deutsch. Denn die «Sprache Teherans» beherrscht er längst nicht mehr. Als kleines Kind ist er mit den Eltern in die «deutschsprachigen Berge» gekommen. So viel «Deutsch» in Österreich? Überhaupt ist wohl eine Menge Provozierendes im Roman verborgen.
«Das Erzählverfahren Sama Maanis verquickt Sexualität mit Religion, Kultur, Gesellschaft und mit - Politik», schreibt der Literaturwissenschaftler Walter Fanta im Klappentext. Wobei er dem Schriftsteller «einen beträchtlichen Ich-Einsatz» zugesteht. Aber «das Autobiographische in der Literatur geht immer uns alle an, selbst das Intimste, das weiß man spätestens seit Kafka.» Ein Signal, dass der Leser sich auf Spannungsvolles, aber auch Irritierendes einzustellen hat.
Weil ich beim literarischen Entschlüsseln ehrgeizig bin, habe ich den schmalen Band zweimal gelesen, doch es ist mir immer noch ein Rätsel, wie das «japanische Messer» in den Besitz einer blonden österreichischen Kellnerin gekommen sein mag (die Information, dass manche Iraner auch blond sind, hilft mir da nicht weiter). Hatte «der Feine», einer der drei Brüder, dieses Messer nicht in Teheran gegen einen früheren Schulkameraden gerichtet, der es ihm abnahm und später umgebracht wurde? Womöglich in Folge eines Machtkampfs mit seinen Kumpanen bei den «Blauen», der berittenen Sittenmiliz. Für die «Blauen» hatte er auch den «Feinen» geworben. Der erklärt, ein Dichter zu sein und keinerlei Verbrechen verübt zu haben. Und doch stellt sich am Schluss heraus, dass der jüngste der drei Brüder womöglich eines seiner Opfer war.
Weil man bei ihm «Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie» von Sigmund Freud gefunden hatte, wurde dieser Jüngste in ein Umerziehungslager gebracht, das ziemlich seltsam war und irgendwie an die westliche Welt erinnert. Erst fühlte er sich frei, dann merkte er, dass er auf die schrecklichste Weise manipuliert wird. In einem «Institut für »Religionssexuologie«, das von einer Feministin geleitet wird, versucht man, das Problem der gleichgeschlechtlichen Liebe zu lösen. Er soll zum »Mädchen« geweiht werden, um einen Politiker zu kompromittieren - und das im Auftrag von Klerikalen ...
Der Name Freud fällt nicht von ungefähr. Sami Maani ist Psychiater und Psychoanalytiker. Seine Romane, Erzählungen und Essays dürften davon durchaus beeinflusst sein. Besonders interessant fand ich den Aufsatz »Warum wir über den Islam nicht reden können«. »Wir«, das meint ein tendenziell religionsloses Europa, wo Religionen dennoch einen dermaßen großen Toleranzschutz genießen, dass gerade Kritiker des Islam auf ein Tabu stoßen. Dabei seien doch viele angebliche »Moslems« gar nicht religiös, so Sami Maani.
Wer im Roman die »Islamische Revolution« im Munde führt, verrät sie meist im selben Atemzug wieder. So zum Beispiel jener »Militärschneider«, der offensichtlich ein mächtiger Mann ist. Für ihn ist die Religion lediglich ein Machtmittel, ohne das in Teheran nichts läuft. Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sie erfinden, sagt er, und erpresst den Jüngsten der drei Brüder. Doch was ist mit dem Ältesten, dem »Groben«, der überhaupt nicht über seine Vergangenheit spricht? Und woher kommt, wie gesagt, in der »Deutschen Gemütlichkeit« das japanische Messer? Müssen wir Freud mitdenken, der darin ein phallisch-sexuelles Symbol sah?
Anspielungen noch und noch. Wenn kurz die Eisenhower-Straße in Teheran erwähnt ist, kann man zum Beispiel an den unter Eisenhower 1953 inszenierten Putsch gegen den demokratisch gewählten Ministerpräsidenten Mohammed Mossadegh denken, der es gewagt hatte, die britische Ölförderung im Iran zu verstaatlichen.
Wer im Internet »Operation Ajax« eingibt, findet die haarsträubende Vorgeschichte vieler heutiger Probleme. Damals bekam der Schah die volle Macht. Ein internationales Konsortium übernahm für 25 Jahre die Förderung und Vermarktung des iranischen Erdöls: 40 Prozent für britische Gesellschaften, 40 für US-amerikanische, 14 für die Royal Dutch Shell und sechs für das französische Unternehmen CFP. Der iranische Gewinnanteil betrug zunächst 25 Prozent, später 50.
Der Vertrag endete 1979. Am 1. Februar jenes Jahres (der Schah war am 16. Januar geflohen) kehrte Ayatollah Chomeini aus dem Exil zurück und übernahm die Führung der Revolution. Am 4. November wurde die US-Botschaft in Teheran gestürmt. Und das Öl? Ist seitdem in iranischen Händen ... Wie soll es weitergehen auf diesem Spielfeld der Mächte? Auch die Wirkung der US-Sanktionen denkt man bei der Lektüre mit ...
So ist es manchmal mit rätselhaften Büchern: Man beginnt zu recherchieren, stößt auf vergessene Zusammenhänge und sieht, dass die Realität oft spannender als ein Krimi ist.
Sama Maani: Teheran Wunderland. Drava Verlag. 104 S., geb., 19,80 €.
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