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Carl Marzani (New York, 1964)

Unbekannte Bekannte

  • Walter Kaufmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Mich beeindruckte, wie Carl Marzani die zwölf prägenden Jahre in den späten Dreißigern und frühen Vierzigern genutzt hatte - durch Europa trampen, abenteuerliche Wochen in Indien verbringen und erst danach das Stipendium an der Oxford University wahrnehmen. Was ihn die Politikwissenschaften gelehrt hatten, versuchte er, ganz im Sinne der englischen Kommunistischen Partei, zu der er gehörte, praktisch anzuwenden. Schließlich hatte er trotz allem sein Studium unterbrochen und sich nach Spanien abgesetzt, war dort in den amerikanischen Lincoln-Brigaden gegen Francos Faschisten angetreten und für seinen Einsatz an der Front ausgezeichnet und befördert worden. Im Zweiten Weltkrieg war er als Offizier im Geheimdienst der US-Army mit Aufgaben betreut gewesen, die er dank seiner umfangreichen Erfahrungen, nicht zuletzt auch wegen seiner Sprachkenntnisse, meisterlich zu lösen verstanden hatte - was ihm später, in den McCarthy-Jahren, übel gedankt wurde: Man verurteilte ihn zu drei Jahren Haft, weil er gegenüber den Geheimdienst-Oberen seine Mitgliedschaft in der britischen KP verschwieg.

All das und mehr erfuhr ich nicht von ihm, sondern von Mitstreitern. Warum auch sollte Marzani sich einem ihm unbekannten Schriftsteller von hinter der Berliner Mauer offenbaren - es genügte, dass er mich in seinem Verlag empfing und sich von mir erzählen ließ, wie ich mich von einer Employment Agency in der Warren Street mit Reklameschildern auf Brust und Rücken in die Fifth Avenue hatte schicken lassen, ich im schwärzesten Harlem mit Do-it-yourself-Büchern hausieren gegangen war und in Manhattans Night Courts routinierte Richter erlebt hatte, die wie am Fließband kleine Diebe, Zuhälter und Drogendealer zu Haftstrafen verdonnerten - mitternächtliche Sühne in einer turbulenter Metropole.

Auch meinen Vorstoß in die Bowery hatte ich Carl Marzani geschildert und wie ich mit Junkies geredet und eine Nacht in einem Asyl verbracht hatte. »Splendid«, hatte er zu mir gesagt, »passt prächtig in ein Buch, das wir planen.«

Da hatten wir längst in seinem Büro Platz genommen, wo er mir erklärt hatte, warum er Kaffee oder Alkoholisches ablehnte.

»Sie aber sollten getrost zugreifen - Whiskey oder Bier oder Kaffee.«

»No, thank you, not for me either«, hatte ich ihm gesagt, was er zu billigen schien. Er musterte mich, ich musterte ihn - ein Mann in den Fünfzigern, der jünger als sein Alter wirkte: straff, mit forschendem Blick und kräftigen Händen, in denen er fortwährend kleine Stahlkugeln aneinanderrieb, was, wie er meinte, die Nerven beruhigte.

»Nun gut«, sagte er, »kommen wir zur Sache. Sie sollen der Siebte im Bunde sein.« Ich blickte ihn fragend an. »Weil ich schon sechs ausländische Autoren für meine Anthologie verpflichtet habe - ›Seven foreigners look at America‹. Gefällt Ihnen der Titel?«

Ob er mir gefiel oder nicht, spielte dann keine Rolle mehr. Nach Berlin zurückgekehrt erfuhr ich, dass Marzanis Anthologie, in die er auch mein »American Encounter« aufgenommen hatte, ein Opfer des Kalten Krieges geworden war - »RUSSIAN GOLD BOLSTERS N.Y. PUBLISHING HOUSE«. Allein die Schlagzeile in der New Yorker Presse vom russischen Gold in einem amerikanischen Verlag hatte Carl Marzanis Anthologie umgestoßen.

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