Damals in Siebenbürgen

Eginald Schlattner 85

  • Jens Langer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wasserzeichen« heißt sein jüngstes Buch. Vor zwölf Jahren hat Eginald Schlattner daran zu schreiben begonnen. Nach Kürzung von über 1000 Seiten, mehreren Titeländerungen und dreijähriger Verlagssuche ist es im Pop-Verlag erschienen. Wasserzeichen lassen Transparenz fürs Unerwartete ahnen. So gibt es etliche Überraschungen; denn hier liegt keine klassische Autobiografie vor, vielmehr handelt es sich um ein komplexes Panorama des siebenbürgisch-sächsischen Bürgertums - und das in praktisch drei Gesellschaftsformationen.

Dieses Thema wird erweitert durch den Blick in ein Nonnenkloster, in das sich der Autor zeitweise zurückgezogen hat. Familiäre Erinnerungen und Beziehungen kommen zur Sprache, ebenso wie allerhand pubertäre Sorgen - sei es ums eigene Aussehen oder wegen der schäbigen Kleidung, stammt doch der junge Mann aus einer ihres Besitzes beraubten Sippe. Auch vom Zittern um Liebesbeziehungen ist zu lesen. Das alles in einem kritischen Duktus, der sich gleichwohl mit Empathie verbindet.

Im Hintergrund die bitteren Erfahrungen im Kronstädter Schriftstellerprozess von 1959. Daraus sind Gerüchte von Verrat und Verräter konstruiert worden, die auf den Autor existenziell zerstörerisch wirken sollten. Erst die Berliner Germanistin Michaela Nowotnick hat in ihrer Dissertation »Die Unentrinnbarkeit der Biografie« über Schlattners Roman »Rote Handschuhe« (2000) auf der Basis textkritischer Analysen der Securitate-Akten Unterstellungen und Manipulationen nachgewiesen, die Eingang selbst in ältere Forschungsliteratur fanden.

Seit 1978 wirkt Eginald Schlattner als fünfzigster Pfarrer seit der Reformation in Rothberg/Rosia bei Hermannstadt/Sibiu und seit 1991 als Gefängnisgeistlicher, offen für alle Ethnien und Konfessionen im Dorf und im Knast. Das gilt auch für seinen Ruhestand. Er ist in der Heimat geblieben, auch als in den 1990er Jahren die siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft gen Westen reiste und sich auflöste. Daran änderte sich auch nichts, als sich seine Frau nach fünfundvierzig Ehejahren von ihm trennte.

Er bleibt, setzt sich für Bildung und interkulturelle Entwicklung im Dorf ein, hält einsame Gebetszeiten und von Touristen ebenso wie von Roma mitgefeierte Gottesdienste. Aufenthalte im orthodoxen Waldkloster Sfantu Spiridon zeigen seine Offenheit, ohne dass er das Gespür für skurrile Szenen verlieren würde.

Die apodiktische Widmung des Bandes irritiert zunächst: »MIR«. Aber sie passt zu diesem Lebensweg und heißt wohl: Ich erzähle der Öffentlichkeit ein Stück gelebter Geschichte. Aber das bleibt mein Ding. Meine Wasserzeichen markieren das Copyright ein für allemal. Noch vor dem Dank an zwei unermüdliche Förderinnen des Buchprojekts steht eine ganz andere Widmung: »Ad maiorem Dei gloriam. Schlattner« - ganz wie der alte Bach.

Für unsereins nach »Der geköpfte Hahn« (1998), »Rote Handschuhe« (2000) und »Das Klavier im Nebel« (2005) abermals aufschlussreiche Lektüre über ein Stück faszinierende Geschichte Südosteuropas von einem fünfundachtzigjährigen poeta transsylvanicus - über Rumänien mit Siebenbürgen!

Eginald Schlattner: Wasserzeichen. Pop-Verlag, 625 S., br., 29 €.

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