Algorithmen nicht für alle

Von Eric Breitinger

  • Eric Breitinger
  • Lesedauer: 2 Min.

Bluttests entdecken Krebs, Computer diagnostizieren Alzheimer anhand von Hirnscans. Algorithmen warnen vor Erkrankungen. Gentherapien heilen die Bluterkrankheit mit einer einzigen Anwendung. Der eigene Körper wird zur Medikamentenfabrik. Mit diesen Beispielen illustriert der Journalist Thomas Schulz die knackige These seines neuen Buches: Die nächste Medizinrevolution kommt aus dem Silicon Valley. Daten-Konzerne wie Google oder Amazon, aber auch Hunderte von Biotech-Start-up-Firmen arbeiten in Kalifornien bereits an neuen datenbasierten Behandlungsmethoden. Am Ende sollen Therapien stehen, die auf jeden Patienten passgenau zugeschnitten sind, weil Computer ihre individuelle Krankengeschichte und ihr Erbgut analysieren und Lösungen liefern.

Der Autor bietet einen gelungenen Überblick über neue Ansätze der Datenmedizin. Allerdings verliert er zweierlei aus dem Blick: Noch ist unklar, welche Versprechungen der Hersteller die neuen Methoden wirklich einlösen können. Das müssen erst klinische Tests und die Praxis klären. Genauso offen ist, wer am Ende von den neuen Therapien profitieren wird. Der Autor verliert jedenfalls kein Wort über die zwei Milliarden Menschen, die laut der Weltgesundheitsorganisation WHO heute noch nicht mal Zugang zu elementaren Medikamenten haben. Digitale Medizin werden sich die meisten Patienten in Ländern des globalen Südens nicht leisten können.

Die erste Gentherapie Luxturna, die Blinde heilen soll, kostet schließlich 850 000 Dollar pro Patient. Der Schweizer Pharmakonzern Novartis verlangt für seine neue Immuntherapie »Kymriah« gegen seltene Formen der Leukämie in den USA 475 000 Dollar. Daher spitzt die neue digitale Medizin auch im globalen Norden die Frage weiter zu, die bereits exorbitant teure Heilmittel gegen Krebs oder Hepatitis C aufgeworfen haben: Wie können solidarisch getragene Krankenversicherungen teure Therapien noch finanzieren, die nur wenigen Patienten zugute kommen? Hier gibt es nur eine Antwort: Entweder schafft es die Politik, die Profitinteressen der Konzerne zu zügeln, nichtkommerzielle Modelle der Medikamentenentwicklung zu etablieren, oder nur wenige Patienten werden in den Genuss der neuen Behandlungen kommen.

Thomas Schulz: Zukunftsmedizin. Wie das Silicon Valley Krankheiten besiegen und unser Leben verlängern will. DVA München 2018,

288 S., geb., 20 Euro.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal