Ein anderer Blick auf Russland
Sachsen will entspannteres Verhältnis zum Nachbar im Osten / Differenzen zu Sanktionen im CDU-SPD-Kabinett
Auf Sachsens Autobahnen sind dieser Tage regelmäßig Konvois der US-Armee zu sehen. Zum einen werden Truppen zum Manöver »Saber Strike 2018« verlegt, das in der ersten Junihälfte in Polen stattfindet; zum anderen werden Truppen ausgetauscht, die für die Operation »Atlantic Resolve« in Osteuropa stationiert sind - nahe der Grenzen zu Russland. Viele Sachsen beobachten die Truppenbewegungen mit Skepsis und Sorge. Mit Recht, sagt Rico Gebhardt: »Wir wollen uns daran nicht erst gewöhnen«, erklärt der Chef der LINKEN im Landtag. Sachsen dürfe »kein Aufmarschgebiet in Richtung Osten« sein, fügte er in einer von seiner Fraktion beantragten Debatte hinzu. Sie trug den Titel »Meinst du, die Russen wollen Krieg?« - und wäre in dieser Form in einem Landesparlament im Westen der Republik schwer vorstellbar.
Nicht nur war die Mehrzahl der Redner so gut in russischer Literatur bewandert, dass sie das titelgebende, im Jahr 1961 zu Hochzeiten des Kalten Krieges entstandene Gedicht von Jewgeni Jewtuschenko kannten; der grüne Abgeordnete Gerd Lippold zitierte es gar in der Originalsprache. Vor allem aber wurde die Frage, die der Gedichttitel formuliert, praktisch fraktionsübergreifend verneint: Nein, die Russen wollten keinen Krieg, hieß es - und der Westen solle jede Eskalation vermeiden: »Der Freistaat hat ein großes Interesse an einem friedlichen Zusammenleben mit diesem großen Land«, sagte der CDU-Mann Marko Schiemann. Gebhardt sagte, es gehe nicht darum, wer der »bessere Putin-Versteher« sei, sondern um »friedenspolitische Vernunft«.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff hat zur Vertiefung der Beziehungen zu Russland aufgerufen. Davon könnte beide Seiten profitieren. Generell müssten die internationalen Herausforderungen so gelöst werden, »dass es keine Gewinner und Verlierer gibt, sondern Probleme zum gegenseitigen Vorteil gemeinsam angegangen werden«, sagte der CDU-Politiker beim ersten Katharina-Forum in Zerbst. An ihm nehmen 170 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft aus Sachsen-Anhalt und Russland teil. Aus dem Zerbster Fürstenhaus stammt die am 2. Mai 1729 geborene Sophie von Anhalt-Zerbst, die 1743 in die russische Romanow-Dynastie einheiratete und 1762 als Zarin Katharina II., genannt die Große, den russischen Thron bestieg. Sie siedelte später zahlreiche Deutsche entlang der Wolga an. hla
Wo es in der Debatte doch Differenzen gab, schienen diese eher in der regionalen Herkunft des Redners als in seiner Parteizugehörigkeit begründet. Viele Ostdeutsche sehen Russland nicht als grundsätzlich aggressiv, sondern als Großmacht mit legitimen Interessen. Militärische oder politische Aktionen zur Sicherung von Einfluss müssten bei Russland, USA oder Nato »mit gleich langer Elle gemessen werden«, sagte der LINKE-Politiker Enrico Stange, »sonst fühlt sich der russische Bär veralbert«.
Der andere Blick auf Russland lässt sich auch in der Frage beobachten, ob die Sanktionen sinnvoll und angemessen sind, die der Westen verhängt hatte, nachdem sich Russland die Krim einverleibte. Diese Annexion sei »schlicht völkerrechtswidrig«, sagt der sächsische Staatskanzleichef Oliver Schenk, in Bayern gebürtiger CDU-Mann: Man könne »nicht die Augen zudrücken und so tun, als wenn nichts wäre«. Der Freistaat, betonte er, »steht zu den von der EU verhängten Sanktionen«.
Das klang schon bei seinem Lausitzer Parteifreund Schiemann anders, der die Besetzung der Krim zwar einen »nicht zu akzeptierenden Fehler Russlands« nannte und die Umsetzung des Minsker Abkommens verlangte, zugleich aber erklärte, die Sanktionen seien »schädlich für sächsische Unternehmen« gewesen. Die Außenhandelsumsätze seien von 1,3 Milliarden auf 600 Millionen Euro eingebrochen. Schiemann will einen »Kurswechsel«: im »Interesse eigener Arbeitsplätze«, aber auch wegen der »traditionellen Beziehungen«.
Nicht nur in seiner Partei, sondern auch im Kabinett erfährt Schenk Widerspruch. Wirtschaftsminister Martin Dulig, kürzlich zum Ostbeauftragten der SPD gekürt, äußerte sich zwar nicht in der Debatte im Landtag. Am Abend zuvor hatte er auf einer Parteiveranstaltung in Markleeberg aber einen schrittweise Abbau der Sanktionen im Gegenzug für die Einhaltung des Minsker Abkommens gefordert - und neue Bewegung im Verhältnis zu Russland, für die der Westen sogar in Vorleistung gehen solle: »Europa sollte den ersten Schritt gehen.« Zuvor gab es Debatten in der SPD, die sich an der verbalen Härte des Außenministers Heiko Maas gegenüber Russland entzündet hatten. Der Saarländer erntete im Parteivorstand heftige Kritik vor allem von ostdeutschen Genossen. Dulig, der dem Gremium angehört, erklärte in Markleeberg, er und Maas hätten weiterhin unterschiedliche Ansichten zur »Tonart«; er lobte aber die Bemühungen des Bundesministers, etliche Dialogforen, die seit der Besetzung der Krim auf Eis gelegen hatten, wieder in Gang zu setzen.
Auf solch differenzierte Haltung in anderen, auch den in Berlin regierenden Parteien ging AfD-Fraktionschef Jörg Urban nicht ein. Er warf der Bundesregierung pauschal vor, einen »Sanktionskrieg« gegen Russland zu führen. Deutschland mache sich damit zum »Spielball der US-amerikanischen Geopolitik«. Vor allem der CDU warf er vor, damit gleichzeitig eine »antirussische und antideutsche Politik« zu betreiben.
Die Haltung zu Russland wird indes offenkundig auch verändert, weil die US-Politik in Europa zunehmend für Befremden sorgt. Der Grüne Lippold mahnte zu Respekt für die UN-Charta, konstatierte aber auch, dass unter US-Präsident Trump der »Regelbruch zur Methode« geworden sei - was »zwangsläufig neue Allianzen« in der internationalen Politik zur Folge haben werde. Unterhalb dieser Ebene sind die Beziehungen ohnehin intakt - »auch in Zeiten der Krise«, sagte Schenk. Es gebe Kontakte zwischen Firmen und Hochschulen und Partnerschaften etwa mit der russischen Republik Baschkortostan. Zudem geht jeder fünfte deutsche Schüler, der Russisch lernt, in Sachsen zur Schule: 26 000 sind es insgesamt.
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