Gegen den Trend zum Schnellen

18. lit.cologne

  • Benjamin Trilling
  • Lesedauer: 2 Min.

Lange Warteschlangen, ausverkaufte Säle und Gedränge bei den Signierstunden - auch zum 18. Internationalen Literaturfest pilgerten etliche Fans der Belletristik. Und das trotz der Alarmsignale aus der Branche: So ist der Buchverkauf zwischen 2012 und 2016 um 16 Prozent eingebrochen und die Buchläden verschwinden aus dem Straßenbild.

Doch während der Absatz des geschriebenen Wortes abnimmt, kommt die Lesegemeinschaft mehr denn je auf Festivals zusammen: weg von der einsamen Lektüre, hin zum gemeinsamen Literaturevent. Parallelen zur Musikbranche tun sich auf. Nicht nur bei den Autoren, die mit ihren Büchern wie Bands auf Tournee gehen, sondern auch bei den Besuchern, die die Gelegenheit nutzen, die Autoren live zu sehen.

Große Namen der Gegenwartsliteratur waren vom 6. bis 17. März zu Gast in der Domstadt: Robert Menasse las aus seinem EU-Epos »Die Hauptstadt«, das im vergangenen Herbst mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Virginie Despentes präsentierte den Fortsetzungsroman ihres »Vernon Subutex«, ein Balzac’scher Querschnitt durch die französische Gesellschaft, von Rechtsruck bis Sozialkahlschlag.

Was der Trend zur Lesung ebenso mit sich bringt: Bekannte Schauspieler wie in diesem Jahr Ulrich Matthes, Benno Fürmann oder Annette Frier übernahmen die Lektüre. Letztere spielte in Jan Weilers Live-Hörspiel-Fassung von »Eingeschlossene Gesellschaft« mit. Der Erfolgsautor (»Maria, ihm schmeckt's nicht«) schrieb das Hörspiel für den WDR, für die lit.cologne wurde es szenisch erweitert: Sechs Kollegen sehnen im Lehrerzimmer das Wochenende herbei. Bis der Vater eines Schülers mit einer Pistole auftaucht und die Lehrkräfte als Geiseln nimmt, damit seinem Sohn der fehlende Punkt für seine Abi-Zulassung zugestanden wird. Die Anlehnung an den Sartre-Klassiker findet sich nicht nur im Titel: Eingesperrt in engstem Raum ist der Andere die Hölle, der die Geheimnisse und Heucheleien lüftet. Ein amüsantes wie bitterböses Kammerspiel über den Mikrokosmos Schule als Spiegel der Leistungsgesellschaft.

Wohin eine solche Gesellschaft führen kann, das verriet Miriam Meckel bei der Vorstellung ihres frischgepressten Buches »Mein Kopf gehört mir«, das wiederum an einen anderen Trend anknüpft: Die Verbindung von populärwissenschaftlichen Erklärungen und persönlichen Schilderungen. Wovor die Publizistin warnte: ein sogenannter Neuro-Kapitalismus. Unser Gehirn soll durch technische Stimulation besser, schneller, effizienter und letztlich eine ökonomische Ressource werden, so ihre düstere Aussicht. »Wir werden einander und uns selbst fremd«, warnt Meckel. Dabei bergen viele der von ihr beschriebenen Innovationen, etwa die Gedankenübertragung via Computer, medizinische Vorteile, so bei Lähmungen, wo die Reize an Roboterprothesen weitergeleitet werden könnten. Ausführungen mit adorno’scher Dimension. Genauso wie der zu beobachtende Trend der Literatur zum Massenevent.

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