Die CDU sieht rot
Christdemokraten hadern mit der Ressortverteilung im neuen Kabinett
Viele in der CDU sind mit dem Ergebnis der Koalitionsverhandlungen unzufrieden. Der Verlust des wichtigen Finanzministeriums schmerzt nicht nur den Wirtschaftsflügel.
Von Fabian Lambeck
»Die CDU hat sich an die Sozis verkauft.« »Merkel verrät ihre eigenen Partei« - der Tenor der Kommentare auf der Facebook-Seite der CDU lässt erahnen, dass die Kanzlerin bei einem Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag wohl an der eigenen Basis scheitern würde. Doch anders als bei der SPD wird es bei den Christdemokraten keinen solchen Entscheid geben, vielmehr soll ein Parteitag grünes Licht geben. Aber auch dort dürfte es Diskussionen geben, schließlich sehen führende Funktionäre und Mandatsträger derzeit rot. »Der Kabinettzuschnitt ist ein politischer Fehler«, sagte etwa der Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin.
Die Entscheidung, das Finanzministerium an die SPD abzugeben, werde bei den CDU-Mitgliedern »nicht gerade für Begeisterungsstürme sorgen«, so von Stetten, der Vorsitzender des Parlamentskreises Mittelstand seiner Fraktion ist. Auch Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Matthias Günther betonte, dass sich seine »Begeisterung beim Ressortzuschnitt« in Grenzen halte. Seine Partei habe sowohl der SPD als auch der CSU Zugeständnisse gemacht. »Wir haben Finanzen abgegeben und dafür Wirtschaft bekommen. Das ist nicht gleich«, echauffierte sich Günther. Die Partei sehe die Ressortverteilung deshalb »mit einem deutlich weinenden Auge«.
Tatsächlich opferte Merkel während der zähen Koalitionsverhandlungen das Finanzministerium. Das Schlüsselressort leiten soll künftig der Hamburger SPD-Bürgermeister Olaf Scholz, der im Dezember noch kategorisch ausgeschlossen hatte, ein Regierungsamt in Berlin zu übernehmen. Der Präsident des CDU-nahen Wirtschaftsrats, Werner M. Bahlsen, gab sich besorgt: »Dadurch, dass die SPD das Schlüsselressort Finanzen erhält, winkt ein Ende solider Haushaltspolitik.« Damit tut er Scholz aber unrecht. Der »Rote mit der schwarzen Seele« steht für finanzpolitische Stabilität im Sinne seines Vorgängers Wolfgang Schäuble. Seine Sozialdemokraten erhalten mit dem Außen- und Arbeitsministerium zwei weitere wichtige Ressorts.
Von den 16 Kabinettsposten, die inklusive Kanzlerinnenschaft zu vergeben sind, werden zukünftig nur sieben von einem CDU-Mitglied besetzt sein. Auch das ein Grund für den Unmut in der CDU. Sechs Ministerposten gehen an die SPD und drei an die kleine Schwester CSU, die das für die konservative Selbstvergewisserung so wichtige Innenministerium bekommt.
Wohl auch deshalb hat die CSU als erste der drei Koalitionäre den schwarz-roten Koalitionsvertrag gebilligt. Der CSU-Vorstand votierte am Donnerstag einstimmig für die Vereinbarung. Einen Parteitag wie bei der CDU oder eine Mitgliederbefragung wie bei der SPD wird es bei der CSU nicht geben. Man habe die eigenen Wahlziele durchgesetzt und »manches verhindert«, etwa die Bürgerversicherung, freute sich der zukünftige Bundesinnenminister Horst Seehofer.
Der CDU bleibt neben dem Wirtschaftsministerium noch Verteidigung, Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft und das Kanzleramt. Mit Ursula von der Leyen, die ihr Verteidigungsressort behält, Annette Widmann-Mauz (Gesundheit), Julia Klöckner (Landwirtschaft) und Angela Merkel entsendet die CDU dabei erstmals mehr Frauen als Männer in ein Bundeskabinett. Ihre männlichen Kollegen sind Hermann Gröhe (Bildung), Peter Altmaier (Wirtschaft) und Helge Braun (Kanzleramt).
CDU-Vize Julia Klöckner, die auch zum Verhandlungsteam ihrer Partei gehörte, wies Kritik an der Ressortverteilung zurück. »Floskeln wie ›da hat sich die Union über den Tisch ziehen lassen‹, das ist mir zu einfach«, sagte sie am Donnerstag dem Radiosender hr-Info. Die Bundesministerin in spe machte zudem klar, wo die CDU ihre Kernkompetenzen sieht: Familien entlasten, keine neuen Schulden und keine Steuererhöhungen. »Das, was verabredet ist, das gilt, und das ist die CDU-Handschrift«, sagte Klöckner.
Während viele sich über die »ungerechte« Ressortverteilung echauffierten, übte kaum ein Christdemokrat inhaltliche Kritik am 179-seitigen Koalitionsvertrag. Merkels Strategie der asymmetrischen Demobilisierung, also des Vermeidens kontroverser Themen, hat dazu geführt, dass die CDU kaum noch ideologisch-religiös begründete Positionen vertritt, die einer Koalition mit der SPD im Wege stehen könnten. Allenfalls gibt es noch Dissens in wirtschaftspolitischen Fragen oder eben beim Verteilen der Ministerposten. Seiten 2 und 3
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