Rotwein ordern am Lügendetektor
Rheinland-Pfalz: Ludwigshafener Marketing-Experten wollen das Einkaufsverhalten im Internet entschlüsseln
Mindestens zwei Flaschen sollen die Probanden im Internet kaufen: eine für sich selbst und eine als Geschenk. Wohin sie dabei zuerst schauen, welche Texte sie lesen, welche Gefühle das bei ihnen auslöst, bewusst oder unbewusst - all das wird gemessen. Mittels Klebe-Elektroden werden selbst kleine Gefühlsregungen ermittelt.
Mit diesem Ansatz wollen Marketing-Experten der Hochschule Ludwigshafen dem Einkaufsverhalten im Internet auf die Spur kommen. »Wir gehen der Frage nach: Wie muss ein Web-Shop gestaltet sein, um Verbraucher emotional anzusprechen?«, erklärt Edith Rüger-Muck, Professorin für Betriebswirtschaftslehre. 120 Probanden kauften für das Projekt fiktiv ein, darunter sowohl echte Weinkenner als auch Konsumenten ohne besondere Expertise. Die Wissenschaftler testeten Farben und Designs, richteten dafür einen virtuellen Online-Shop eines Weinguts ein und bestückten ihn mit fiktiven Weinen.
Sie befragten die Probanden nicht nur zu ihrer Entscheidung, sondern »verkabelten« sie auch. »Beim Lesen einer Internetseite laufen viele unterbewusste Prozesse ab - die lassen sich mit Apparaten besser messen als mit Befragungen«, sagt Rüger-Muck. So konnten die Forscher zum Beispiel Augenbewegungen, Muskelkontraktionen und Puls messen. Auch ein EDA-Gerät, das den Leitwiderstand der Haut feststellt, kam zum Einsatz - besser bekannt als Lügendetektor.
Die Neuroökonomie, bei der Kundenverhalten mit neurowissenschaftlichen Methoden untersucht wird, gehört zu den Schwerpunkten der Uni. »Wir wollen interdisziplinär ein tieferes Verständnis darüber erhalten, wie Konsumenten Entscheidungen treffen. Das ist auch im Interesse der Verbraucher«, erklärt Gerhard Raab, Professor für Betriebswirtschaft.
Derzeit werden die Ergebnisse ausgewertet, vorliegen sollen sie im Frühjahr. Aus Vorstudien wisse man bereits, dass größere Bilder es auch auf Internetseiten einfacher machen, Emotionen zu vermitteln, sagt Doktorand Peter Merdian. »Gleichzeitig ist eine rein emotionale Präsentation nicht ausreichend, es müssen auch konkrete Kaufanreize gesetzt werden.« Bei Texten wiederum gelte die Regel: die richtige Information zur richtigen Zeit. »Niemand möchte mit zu viel Text erschlagen werden«, sagt Merdian. Gleichzeitig müssten interessierte Nutzer aber auch die Möglichkeit haben, tiefgreifende Einblicke zu bekommen - etwa durch Unterseiten. »Jeder sollte sich die Informationen herauspicken können, die ihm gerade wichtig sind«, erklärt Merdian. »Persönlichkeitsmerkmale - wie die Bereitschaft, Risiken einzugehen - bestimmen ganz wesentlich das Einkaufsverhalten und das subjektiv wahrgenommene Ergebnis.« Und: »Erfolgreiche Web-Seiten kennen die Motive und Erwartungen ihrer Kunden genau.«
Unterstützt wird die Studie vom Forschungsring des Deutschen Weinbaus und dem Deutschen Weinfonds. Für Wein entschieden sich die Wissenschaftler, weil der in der Pfalz ein wichtiges Produkt ist. Der Internet-Vertrieb eröffnet auch kleineren Weingütern neue Möglichkeiten, erklärt Andreas Köhr, Pressesprecher des Bauern- und Winzerverbandes Rheinland-Pfalz Süd. »Ein Online-Shop bietet Kunden eine gute Übersicht über das Sortiment. Und für den Verkauf wirkt er wie verlängerte Öffnungszeiten.« Köhr zufolge liegt der Anteil, den Weinhersteller direkt über das Internet verkaufen, noch im niedrigen einstelligen Bereich.
Laut einer bundesweiten Befragung im Auftrag des Digitalverbandes Bitkom kaufen inzwischen 55 Millionen Deutsche online ein. Lebensmittel und Getränke bestellen aber nur fünf Prozent der Befragten am liebsten im Internet, bei CDs oder DVDs sind es dagegen 54 Prozent. Trotzdem: Die Tendenz sei auch für den Weinhandel eindeutig steigend, sagt der Verbandssprecher. dpa/nd
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