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Die Qual der schlechten Auswahl

Chiles Bevölkerung hat ohne Pflicht wenig Lust, sich für die Präsidentschaftswahlen an die Urnen zu begeben

  • David Rojas, Santiago de Chile
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich gehe nicht wählen, ich will mich nicht zum Komplizen dieses Systems machen. Ich will, dass sich die Unzufriedenheit in Chile zeigt«, meint Roberto Gómez Ponce, 60. Er betreibt einen Schlüsseldienst an der Santiago de Chile durchkreuzenden Hauptstraße Alameda. Wie er wird es vermutlich die Mehrheit der Chilen*innen am kommenden Sonntag handhaben, wenn Parlament und Präsident gewählt werden, sei es aus politischer Überzeugung oder Desinteresse. Die Wahlbeteiligung wird sich um die 50 Prozent bewegen. Auch ansonsten ist die Wahl wenig präsent. Wahlplakate sind selbst in Santiago kaum zu sehen und wenn, dann achtlos auf den Boden geworfen oder von Obdachlosen zum Sonnenschutz umfunktioniert.

Die Bilanz der amtierenden Präsidentin Michelle Bachelet vom linksliberalen Parteienbündnis Nueva Mayoría (Neue Mehrheit) ist durchwachsen und ihre Zustimmungswerte befanden sich in den vergangenen Monaten konstant niedrig bei um die 30 Prozent. Antreten darf sie nach zwei Amtszeiten aus Verfassungsgründen eh nicht mehr. Erfolge sind die Demokratisierung des Wahlrechts, eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts sowie die Einführung der eingetragenen Partnerschaft für homosexuelle Paare.

Bachelet konnte jedoch viele ihrer Wahlversprechen nicht halten: Die Regierung hat es nicht geschafft, die in Chile extrem teure universitäre Bildung kostenlos zu machen oder auch nur breiteren Schichten zugänglicher. Auch der Caso Caval genannte Korruptionsskandal um Bachelets Sohn Sebastián Dávalos hat für erhebliche Vertrauensverluste gesorgt.

»Politisch gesehen war die Präsidenschaft Michelle Bachelet sehr schlecht«, meint auch der Buchhändler Ernesto Córdova, 54. »Ich glaube, ich werde für Beatriz Sánchez stimmen.« Die Journalistin Beatriz Sánchez ist Kandidatin des erst im Januar 2017 gegründeten linken Bündnisses Frente Amplio (FA). Erklärtes Ziel der von Vertreter*innen der Studierendenproteste 2011 angestoßenen FA ist es, das Zweiparteiensystem, dass in Chile seit dem Ende der Militärdiktatur 1990 vorherrscht, zu überwinden. Beatriz Sánchez will, sollte sie die Wahl gewinnen, unter anderem das privatisierte Rentensystem, das vielen Chilen*innen die Altersarmut beschert, abschaffen, eine Bildungsreform durchführen und Abtreibungen bis zum dritten Schwangerschaftsmonat legalisieren. Da die Frente neuen Wind verspricht, mobilisiert sie auch von der Regierung enttäuschte Linke. »Bisher habe ich nicht gewählt, aber dieses Mal wähle ich Sánchez«, meint auch die Lehrerin Vale (31), »Ich hoffe, dass Piñera nicht Präsident wird.«

Sebastián Piñera ist Unternehmer, einer der reichsten Chilenen und war schon von 2010 bis 2014 Präsident. Er tritt für das konservative Bündnis Chile Vamos an. Piñera scheint trotz Korruptionsskandalen um seine Person für den zweiten Wahlgang gesetzt, den es geben dürfte, weil niemand im ersten Durchgang die 50-Prozent-Schwelle übertreffen sollte. Mit ihm dürfte es keine Reformen geben. Das Bildungssystem soll bleiben, wie es ist. »Ich mache nicht Politik für die, die am lautesten schreien«. Des Weiteren will er - ganz neoliberal - den Staat weiter verschlanken, die Polizei stärken und das Rentensystem beibehalten.

»Piñera ist eine Gefahr für die Regierungsfähigkeit Chiles«, meint Alejandro Guillier, der für das Bündnis Nueva Mayoría antritt. Programmatisch steht Guillier für eine Fortführung der Politik Bachelets, Hoffnungsträger ist er nicht. »Wenn im zweiten Wahlgang Piñera und Guillier zur Wahl stehen, gehe ich nicht wählen«, sagt der Buchhändler Córdova.

Weitere, wenig aussichtsreiche Kandidaten, sind Carolina Goic von der Christdemokratischen Partei DC und Marco Enríquez-Ominami von der PRO. Des Weiteren tritt mit José Kast, einem ehemaligen Mitglied der faschistoiden UDI ein unabhängiger Kandidat an, dessen erklärtes Ziel es ist, linke Kräfte aus dem zweiten Wahlgang zu halten. Alejandro Navarro ist ein linker Kandidat, der aber kaum Chancen auf einen Wahlerfolg hat. Er zieht für die País-Partei ins Rennen, die Anfang 2017 aus der Frente Amplio ausgeschieden ist. Eduardo Artés, Generalsekretär der Kommunistischen Partei (Proletarische Aktion), einer in den 80er Jahren entstandenen post-maoistischen Partei, tritt für die Union Patriótica (UP) an. Er machte vor allem damit von sich reden, dass er meinte: »In Chile kämpfen wir für Dinge, die es in Nordkorea schon gibt.«

Voraussichtlich werden sich im zweiten Wahlgang Piñera und Guillier gegenüberstehen. Klar ist das allerdings noch nicht. 15 Tage vor der Wahl ist es verboten, Umfrageerbnisse zu veröffentlichen. Aber es scheint, dass sich die Frage wer am Ende Präsident*in wird, daran entscheidet, ob Guillier es schafft, die Unterstützung der anderen linken Kandidat*innen zu gewinnen. Das dürfte aber schwierig werden, zu enttäuschend ist die Bilanz der Regierungsparteien. Für Roberto Gómez, den Schlüsselmacher, ist aber sowieso klar: »Egal wer am Ende gewinnt, ändern wird sich innerhalb dieses Systems nichts.«

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