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«Man schoss aber»

Moyshe Kulbak: Revolution und jüdische Welt

  • Thomas Möbius
  • Lesedauer: 3 Min.

Warum wird denn geschossen? - Ich weiß nur, dass jemand angefangen hat zu schießen - also schießt man zurück.« So beginnt in Moyshe Kulbaks Roman »Montag« die Revolution. Kulbak erzählt über diese Zeit und die Bürgerkriegswirren aus Sicht eines armen Hebräischlehrers, Mordkhe Markus, in einem Provinznest irgendwo zwischen Minsk und Vilnius. Er schildert sie in einem Ton der Verwunderung und Beiläufigkeit. Die revolutionären Ereignisse erfassen die Stadt und ihre Bewohner wie nebenher. Teil des Geschehens, wirken diese doch unbeteiligt, als wären sie Zaungäste ihres Schicksals.

Mordkhe Markus lebt, vertieft in die Bücher, in seiner Dachkammer und philosophiert über »den Lauf der Dinge«, den Sinn des Lebens. Mitunter besucht ihn eine zaghafte Liebe, das Fräulein Gnesye; er erzählt ihr von seinen Gedanken. Die Revolution reißt Markus aus seiner Ruhe und zieht ihn in ihren Strudel: Die Kämpfe erschüttern die Stadt. Markus bringt seine Philosophie der »Armenleute« auf die Straße, und die erwählen ihn zu ihrem Messias. Er wird verhaftet, kommt wieder frei. Am Ende wird er während eines Gefechts aus seiner Dachkammer geholt und an die Wand gestellt. »Er sagte sehr klar und voller Zorn: ›Meine Herren, das will ich nicht.‹ ... Man schoss aber«.

In zwanzig lose verbundenen Kapiteln beschreibt Kulbak das Revolutions- und Bürgerkriegsgeschehen. Eruptive Gewalt: Aufruhr der Massen, Kämpfe der wechselnden Besatzungen, Pogrome, Vergewaltigungen. Deren Schilderungen werden durchbrochen von Markus’ philosophischen Reflexionen. Reales mischt sich mit Mystischem und Traumvisionen. Dieser surreale, mitunter groteske Zug wird durch den Kontrast zwischen der Brutalität des Erzählten und einer märchenhaften Sprache mit ihren Verkleinerungen gesteigert: »Eine Granate seufzte lang und fiel ins Flüsschen … Das hölzerne Brückchen erhob sich, und seine Einzelteile stoben über die Felder.« Die Revolution hat hier nichts von Aufbruchstimmung und Pathos. Das Bild ist eher von Melancholie und Lähmung geprägt.

Mordkhe Markus sympathisiert mit der kommunistischen Idee. Doch: »Seine Weltanschauung erlaubt es ihm nicht, das gesamte Parteiprogramm anzunehmen. Denn wo ist dort von Freiheit die Rede? Von Gleichheit? Von Brüderlichkeit?« Kulbak bringt mit Markus als Messias der »Armenleute« die jüdischen Erlösungserwartungen in die Revolution. Er zeigt, wie diese mit ihren mystizistischen und chassidischen Traditionen auf den Kommunismus trafen. Er öffnet damit den Blick für die Vielfalt der Stimmen der Revolution - und wie diese verlöschten.

»Montag« erschien 1926 auf Jiddisch im Verlag der Kultur-Lige, einer Organisation zur Förderung der jüdischen Kultur. Kulbak, 1896 in der Nähe von Vilnius geboren, zählt zu den großen Stimmen der modernen jiddischen Literatur. 1928 zog er von Vilnius nach Minsk. 1937 wurde er verhaftet und erschossen. Bislang lagen auf Deutsch seine Romane »Die Selmenianer« und »Der Messias vom Stamme Efraim« vor (beide Volk und Welt). Man muss fotoTAPETA danken, nun auch »Montag« wiederentdeckt zu haben. Ein weiterer Band mit Gedichten ist angekündigt.

Moyshe Kulbak: Montag. Ein kleiner Roman. Aus dem Jiddischen von Sophie Lichtenstein. edition fotoTAPETA. 112 S., br., 12,80 €.

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