Käpt’n Hook mit Laserpistole

Edward Berry: »Das verschwundene Buch« preist »Peter Pan« und karikiert die technisierte Welt

  • Irmtraud Gutschke
  • Lesedauer: 3 Min.

Man stelle sich vor: In einem neuen Band von »Harry Potter« oder einem anderen lang erwarteten Buch wäre plötzlich der gedruckte Text verschwunden. Nur leere Seiten, lediglich der Name der Autorin wäre noch zu lesen. Lucy Ferrier - hieß sie wirklich so?

Und wer ist Edward Berry, der Autor, der mit diesem Einfall spielt? Die Namensähnlichkeit mit James M. Barrie kann doch kein Zufall sein. Schließlich beginnt »Das verschwundene Buch« mit einem Zitat aus Barries »Peter Pan«: »Merkwürdige Dinge passieren uns allen auf unserem Weg durchs Leben.« - Fürwahr. Öffnen wir uns den Merkwürdigkeiten in der Hoffnung auf Bezauberung.

Edward Berry also: Im Band wird das Pseudonym nicht enthüllt, doch auf der Webseite des Verlages lüftet sich das Rätsel: Zwei spanische Autoren - Pierdomenico Baccalario und Eduardo Jáuregui, bereits auf dem Buchmarkt erfolgreich - hatten gemeinsame Freude am Schreiben, und im Verlag scheint man sich in das Ergebnis verliebt zu haben. Schon das Titelbild, überhaupt die aufwendige Gestaltung verlocken zum Lesen.

»Die schönste Geschichte aller Zeiten«? Nehmen wir’s ironisch. Nicht weit von hier wird der »schönste Höffner-Markt der Welt« gebaut. Auch ist der Werbeslogan nicht auf Berry, sondern auf das Buch von Lucy Ferrier gemünzt. Leo Gutenberg, »der berühmteste Literaturkritiker der Welt« urteilte so, als er den Text vorab gelesen hatte. Aber, leider, inzwischen ging es ihm wie allen: Nicht einmal der Titel ist ihm noch erinnerlich.

Was tut Bea Castells in ihrer Buchhandlung »Abrakadabra« angesichts der leeren Seiten im Ferrier-Roman? Wendet sie sich an den Verlag, der sich seinerseits bei der Druckerei beschwert? Sie telefoniert mit Thot. Wer es nicht weiß: Diesem ägyptischen Gott ist das gesamte Schreibwesen unterstellt. Der verschwundene Text ist ja nur der Beginn eines »terroristischen Angriffs auf die Literatur«.

Die großen Kinderbuchklassiker scheinen von einer Art Virus befallen, der sie verändert, sie zerstört. Schon werden Bibliotheken wegen Quarantäne geschlossen, und in den Schulen fällt der Literaturunterricht aus. Stattdessen werden Tablets verteilt, und Mr. Zargo, der Chef des größten Technikkonzerns der Welt, hat in seiner Fitnesswelt gut lachen.

Nur Magie kann da helfen - und der Mut zweier Kinder, Alba und Diego, die sich von Tante Bea verstanden fühlen wie von ihren Eltern nicht. Denn die wischen nur noch auf ihren »Z-Phones« herum.

Die kindliche Phantasie in unserer durch und durch auf Effizienz getrimmten, technisierten Welt und ein Lob des Lesens: Das ist längst ein beliebtes Thema in der Literatur. Man denke nur an Michael Endes »Unendliche Geschichte«, in der Bastian Balthasar Bux das Land Phantásien vor dem Untergang zu retten hat. Hier sind es Alba und Diego, die mit Hilfe ihrer Tante in die Parallelwelt von Nimmerland schlüpfen und dort gefährliche Abenteuer bestehen. Sie müssen Käpt’n Hook die Laserpistole abnehmen, ehe er Peter Pan erschießen kann.

Hat Mr. Zargo sie in James M. Barries Text geschmuggelt? Und was ist mit dem »verschwundenen Buch«? Alle Rätsel werden sich hier nicht lösen. Für den September ist mit »Das geheime Tor« bereits eine Fortsetzung angekündigt.

Edward Berry: Das verschwundene Buch. Aus dem Spanischen von Anja Rüdiger und Ben Thannisch. Verlag Sanssouci, 187 S., geb., 15 €.

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