Alleinsam im Ja Ja Land

Brian Morrow schreibt die erste Folge der Strugatzki-Reihe des Helmi-Puppentheaters für das Ballhaus Ost

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Prenzlauer Berg in 100 Jahren? Es herrscht das Matriarchat. Alle werden Veganer sein und Muslime auch. Gender gibt es nicht mehr. Alle sprechen inzwischen englisch. Nur einer ist nicht auf dem neuesten Stand und sorgt für Durcheinander. So ungefähr wird es unter anderem sein im »Ja Ja Land« von Brian Morrow, der ersten von fünf neuen Produktionen des Helmi-Puppentheaters. Genau weiß man das ja vor einer Premiere nie. Noch in der Generalprobe kann sich vieles ändern im Theater. Beim Helmi sogar bei der Premiere selbst. »Außerdem gleicht bei uns keine Vorstellung der anderen«, sagt Morrow.

Das mit der vorwärtsdrängenden englischen Sprache ist nicht aus der Luft gegriffen. Morrow, der schon zwanzig Jahre in Berlin lebt, beobachtet das mit Belustigung. Er spottet über hilfsenglische Werbeslogans im Stadtbild wie »Call and surf Comfort via Funk« oder »Mix it, Baby«. Was ist dann mit »Das Helmi goes russische Phantastik«? Nehmen wir es mal als Überhöhung.

Denn ernsthaft ist der Ansatz der Helmi-Künstler durchaus, die auf dem Heimatplaneten Ballhaus Ost arbeiten. Mit allen fünf Folgen, die jeweils von Mitgliedern des sogenannten Kernteams der Gruppe geschrieben werden, widmet sich das Puppentheater Werken der sowjetischen Schriftsteller Arkadi Strugatzki (1925 - 1991) und Boris Strugatzki (1933 - 2012). Über 50 Millionen verkaufte Exemplare sagt man den Brüdern nach, die Leningrad - und nach der Umbenennung St. Petersburg - eng verbunden waren. In 30 Sprachen wurden ihre Bücher übersetzt, von denen eine Vielzahl in öffentlichen Bibliotheken stehen. Niemand weiß, wie viele Romane und Erzählungen von den Strugatzkis erfunden wurden. In der Sowjetunion wurden sie vielfach zensiert und sogar so weit interpretiert, dass verschiedene Erzählungen ineinanderflossen, heißt es. Was blieb, war der optimistische Grundton. Bösewichte spielen kaum eine Rolle. Hingegen wird die Bürokratie eifrig verspottet.

Bei allem freien Schöpfertum, das beim Helmi-Puppentheater an der Tagesordnung ist, soll bei seiner Interpretation mehr Strugatzki als Morrow in der ersten Folge der Reihe sein, verspricht der Künstler, der Fotografie studierte, in Berlin zum Puppenspiel fand und über das »Helmi« einen beachtenswerten Bildband herausgebracht hat. Menschlichkeit nennt er als Basis und darstellerisches Ziel für sein Stück, in dem er selbst mitspielt. Über Bürokratie kann sich der 49-jährige Liverpooler, der mit seiner Familie in Prenzlauer Berg wohnt, hierzulande momentan nicht beschweren. Er will Deutscher werden. »Als ich deshalb zum Bürgeramt ging, brauchte ich als Begründung nur ein Wort sagen: Brexit.«

An Humor wird es bei den Aufführungen, für die in gewohnter Weise die Darsteller aus Schaumstoffmatratzen geschnitzt werden, sicher nicht fehlen. Die Helmi-Künstler nehmen sich selbst bei den Aufführungen noch gegenseitig hoch. Morrows starker Akzent sei schon oft Zielscheibe des Spotts gewesen, beklagt er. Dafür sind seine Sprachschöpfungen ein Quell der Freude. Das schöne Wort Alleinsamkeit wird ihm zugeschrieben. Und: »Wer zu spät kommt, der bestraft das Leben.« Beim »Ja Ja Land« ist das wohl nicht zu befürchten. Der Reisebeginn in das Strugatzki-Universum steht fest.

Folge 1: »Ja Ja Land« am 26. und 27. April; Folge 2: »Die dritte Zivilisation« am 18. und 19. Mai; jeweils im Ballhaus Ost, Pappelallee 15, Prenzlauer Berg

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.