Vorteil für das Gedruckte

Beim Lernen von Sprachen kommen immer häufiger digitale Medien zum Einsatz. Studien lassen darauf schließen, dass sie das Lernen eher hindern als fördern. Von Frank Ufen

  • Frank Ufen
  • Lesedauer: 4 Min.

Immer mehr Netbooks, Tablets, iPads und Handys, interaktive Whiteboards oder elektronische Schwarze Bretter, die vom Computer aus gesteuert werden - die Digitalisierung und multimediale Vernetzung aller Klassenzimmer scheint unaufhaltsam voranzuschreiten. Es ist allerdings längst noch nicht ausgemacht, ob diese technischen Errungenschaften für jede Art des Lernens segensreich sind. Die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, die der Informationswissenschaftler Hans W. Giessen (Universität des Saarlandes in Saarbrücken) kürzlich durchgeführt hat, deuten darauf hin, dass das nicht der Fall ist.

Zunächst hielt Giessen das Projekt für eine großartige Idee, in Saarbrücken ein »Selbstlernzentrum« einzurichten, wo man sich vor einen reichlich mit Lernsoftware bestückten Computer setzen kann, um kostenlos eine Fremdsprache zu lernen oder beispielsweise einen Buchführungskursus zu absolvieren.

Anfangs kamen die Lernwilligen in Scharen. Doch schon nach wenigen Wochen ließ das Interesse der meisten Nutzer stark nach, und schließlich sprangen sie ab. Nach einem halben Jahr verirrte sich kaum noch jemand in die Räume des Selbstlernzentrums, und die beiden Mitarbeiter, die für die Betreuung der Klienten zuständig waren, begannen sich zu langweilen. »Es gab Tage, an denen innerhalb der acht Stunden, die das Zentrum geöffnet hatte, gerade mal ein oder zwei Besucher an die Tür klopften«, erklärt Giessen.

Als Giessen sich nach einiger Zeit bei früheren Nutzern dieser Einrichtung danach erkundigte, warum sie abgesprungen waren, fielen die Antworten eher vage aus. Das Lernen am Computer sei ziemlich mühselig gewesen, beklagte man sich, und es sei nicht gerade effizient gewesen. Am Ende wurde das Selbstlernzentrum in Saarbrücken geschlossen. Ebenso erging es etlichen anderen Einrichtungen dieser Art, die in einer Reihe deutscher Städte aufgebaut worden waren. Das gesamte Projekt hatte sich als Fehlschlag erwiesen.

Giessen und seine Kollegen beschlossen daraufhin, der Sache auf den Grund zu gehen, also experimentell zu erforschen, ob das Lernen mit dem Computer so leicht ist, wie es zunächst erscheint, oder so mühsam, wie manche enttäuschte Nutzer meinten. Die Wissenschaftler berichten über ihre Forschungsergebnisse in dem Konferenzbericht »über eine explorative Studie zum medien- und medieneffektabhängigen Vokabellernen«.

An den Experimenten nahmen jeweils so viele Studentinnen und Studenten teil, dass drei Gruppen mit einer zweistelligen Gruppengröße gebildet werden konnten. Alle mussten Deutsch als Muttersprache haben. Die Versuchspersonen erhielten die Aufgabe, sich zehn im Alltag häufig verwendete ungarische Wörter innerhalb einer Stunde einzuprägen. Direkt nach dem Lernen, am nächsten Tag und exakt eine Woche später fand jeweils ein Vokabeltest statt. Die erste Gruppe bekam die ungarischen Wörter auf einem Blatt Papier präsentiert, die zweite Gruppe auf einem Computermonitor, und die dritte ebenfalls auf dem Bildschirm, aber in Form einer aufwendigen Flash-Animation.

Die Auswertung der Testergebnisse förderte erhebliche Unterschiede zutage. Die Probanden, die keinen Computer zur Verfügung hatten, behielten eindeutig die meisten Vokabeln im Gedächtnis. Schlechter schnitten die Versuchspersonen ab, die die Vokabelliste vom Computerbildschirm abgelesen hatten. Am schlechtesten jedoch diejenigen, die die Vokabeln mit Hilfe von Flash-Animationen gelernt hatten. Ähnliche Experimente, die an anderen Hochschulen durchgeführt worden sind, haben im Wesentlichen zu den gleichen Befunden geführt.

Doch warum beeinträchtigt der Computer das Memorieren von Vokabeln? Giessen vermutet, dass das zum einen daran liegen könnte, dass das menschliche Gehirn von der Evolution darauf programmiert ist, Bewegungen mit Gefahren zu assoziieren. Wenn auf dem Monitor also viel passiert, wird das Gehirn in Alarmbereitschaft versetzt. Es aktiviert daraufhin die Amygdala, die den Körper physiologisch und emotional auf Angriff oder Flucht - also auf schnelles Reagieren - einstellt. Doch wenn die Amygdala aktiviert ist, werden der Hippocampus und andere Gehirnregionen, die für Lernprozesse zuständig sind, weitgehend stillgelegt. In Gefahrensituationen sind Reflexionen eben ebenso störend wie das Speichern von Informationen.

Was den Computer zum anderen zu einem Lernhindernis machen kann, ist laut Giessen der Umstand, dass Wörter und Texte auf dem Monitor schlechter zu lesen sind und deshalb oft nur ungeduldig überflogen werden. Wenn die Texte aber einigermaßen konzentriert gelesen werden würden, sei die Lesegeschwindigkeit ein Viertel bis ein Drittel langsamer als bei Gedrucktem.

Hans W. Giessen erklärt ausdrücklich, dass er weit davon entfernt sei, Computer als Lernmedium generell abzulehnen. »Es geht darum herauszuarbeiten, wo sie sinnvoll sind - und wo eben nicht. Und warum das so ist. Das Vokabellernen ist offenbar ein Bereich, in dem computergestütztes Lernen kontraproduktiv ist. Es gibt weitere Bereiche. Zumindest ist umgekehrt die naive Idee, dass das Medium ohne Auswirkungen bleibe, sicherlich nicht zu halten.«

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