Einfach mal mit der AfD reden
Eine ehemalige Spitzen-Grüne beim Stammtisch der Rechtspopulisten und eine Unionsabgeordnete denkt über Koalitionen nach
Antje Hermenau bezeichnet sich auf ihrer Webseite als »Strategin« und bietet dort »Strategiebildung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft«. Zu ihren Qualifikationen gehören »24 Jahre Berufserfahrung im Sächsischen Landtag und im Deutschen Bundestag als Haushalts- und Finanzpolitikerin«. Kein Wort von der Partei, für die sie dort tätig war. Dabei war sie als einzige Frau an der Gründung der sächsischen Grünen beteiligt. Im Oktober 1990 zog sie in den Dresdener Landtag ein. Von 1994 bis 2004 saß Hermenau für die Grünen im Bundestag, schied aber, wie sie selbst schreibt, »vorzeitig freiwillig« aus. Als Gründe nennt sie Meinungsverschiedenheiten über die Neuverschuldungskriterien und den Wunsch, eine Familie zu gründen. Hermenau kehrte als Spitzenkandidatin der Grünen zurück in den sächsischen Landtag und wurde Fraktionsvorsitzende. Nach den Landtagswahlen 2014 verließ Antje Hermenau die Grünen. Sie strebte eine schwarz-grüne Koalition an, ihr Landesverband stellte sich dagegen. Seitdem ist Hermenau als Publizistin und Beraterin tätig.
Im Döbelner »Hotel Bavaria« ist Hermenau am Mittwoch beim »Themen-Stammtisch« der AfD aufgetreten. 60 Zuhörer waren da, und sie stellte ihr Buch »Die Zukunft wird anders« vor. Das Buch ist ein politischer Rundumschlag: »Migrationswelle«, ein enttäuschtes Osteuropa, die Finanzkrise und die Führungsrolle Deutschlands. Dem »nd« sagte Hermenau, man habe in Döbeln ein vernünftiges Gespräch geführt. Es seien auch Linke dort gewesen. Ihr Buch sei ein Denkanstoß »für alle«. Auf die Frage nach Sympathien für die AfD antwortete Hermenau, sie habe »Sympathien zu allen Parteien im Parlament«. Während die Ex-Grüne also nur mit der AfD sprechen möchte, schlägt die CDU-Bundestagsabgeordnete Veronika Bellmann direkt vor, über Koalitionen mit den Rechtspopulisten nachzudenken. Sie stammt aus derselben Politikergeneration wie Hermenau. In der »Huffington Post« erklärte sie, man dürfe Koalitionen mit der AfD nicht ausschließen. Bellmann teilt damit einen Gedanken, den der ehemalige Bundesgeschäftsführer der CDU Peter Radunski gestern in der ARD-Talkshow »Maischberger« äußerte. Radunski sagte, man dürfe »keine Koalition ausschließen«.
Veronika Bellmann trat 1990 in die CDU ein. Nach einer Zeit im Kreistag von Flöha und im sächsischen Landtag ist sie seit 2002 Bundestagsabgeordnete. Die Wege von Antje Hermenau und Veronika Bellmann dürften sich also des Öfteren gekreuzt haben. Bellmann machte schon in der Vergangenheit mit rechten Positionen auf sich aufmerksam. 2008 sagte sie in einem Interview mit dem Magazin »Der Selbstständige«, man solle sich dagegen wehren, wenn Begriffe wie »rechts« oder »national« in eine rechtsextreme Ecke gestellt würden. In späteren Äußerungen warnte Bellmann vor einer »Islamisierung« Deutschlands und kritisierte Kanzlerin Merkel für ihre Flüchtlingspolitik.
Der »Huffington Post« sagte sie jetzt, man müsse in der Zukunft über Koalitionen mit der AfD nachdenken. Sonst würde man auch deren Wähler ignorieren. In der rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit« ging Veronika Bellmann noch einen Schritt weiter. Themen wie »nationale Identität, kulturelles Selbstverständnis, deutsche Leitkultur« müssten in der CDU einen Platz haben. Wenn man dazu überzeugende Positionen habe, könnte die CDU die AfD auf Dauer überflüssig machen. Veronika Bellmann ist die erste aktive Bundespolitikerin der CDU, die offen über eine Zusammenarbeit mit der AfD spricht.
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