Die angeschlagene Kanzlerin
Für die Wahlniederlage der CDU wird vor allem die Bundespolitik verantwortlich gemacht
Für Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern auch eine große symbolische Bedeutung. Im Norden des Landes hat die CDU-Vorsitzende ihren Wahlkreis Vorpommern-Rügen - Vorpommern-Greifswald I. Diesen hatte Merkel bei Bundestagswahlen problemlos gewonnen. Doch inzwischen wird die Politik der Kanzlerin in dieser Region und anderen Gegenden des Bundeslandes von vielen Menschen abgelehnt. Das ist eine der Lehren aus der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, aus der die CDU als einer der großen Verlierer hervorgegangen ist. Spitzenkandidat Lorenz Caffier machte hierfür vor allem die Bundespolitik verantwortlich. Alles sei »überlagert von der Flüchtlingspolitik« gewesen, sagte der CDU-Politiker in einem Fernsehinterview. Caffier rief die »Berliner Politik« dazu auf, stärker »auf die Verunsicherung der Menschen« zu reagieren.
Der Rechtsausleger verfolgt ebenso wie einige seiner Kollegen in der Union das Ziel, weiteren Forderungen der AfD in der Flüchtlingspolitik nachzukommen, um deren Wähler für die Union zurückzugewinnen. Konkret wurden Vertreter der CSU, die ihren größtenteils menschenfeindlichen Katalog abspulten. Generalsekretär Andreas Scheuer forderte im »Tagesspiegel«: »Wir brauchen eine Obergrenze für Flüchtlinge, schnellere Rückführungen, eine Ausweitung der sicheren Herkunftsländer und eine bessere Integration.«
Hierbei sehen die bayerischen Konservativen und ihre Mitstreiter in der CDU nun Merkel in der Pflicht. Die Kanzlerin äußerte sich aus dem chinesischen Hangzhou am Rande des G20-Gipfels zu dem Wahlergebnis. Sie räumte ein, dass die bundespolitischen Themen den Landtagswahlkampf im Nordosten dominiert hätten. Allerdings machte Merkel auch deutlich, dass sie ihre bisherigen Maßnahmen zur Abwehr von Flüchtlingen für ausreichend hält.
Nicht nur ihre internen Gegenspieler sowie die AfD wollen die Gelegenheit nutzen, dass die Kanzlerin seit einiger Zeit angeschlagen ist und in der Bevölkerung an Sympathien eingebüßt hat. Auch von ihrem Juniorpartner SPD ist immer öfter Kritik an Merkel zu hören. Der Vorsitzende der Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, gibt sich dabei entgegen seiner bisherigen Politik als Vorkämpfer für mehr soziale Gerechtigkeit. Gabriel sprach sich am Wahlabend erneut für einen »Solidarpakt« aus, welcher unter anderem durch den Bau neuer Sozialwohnungen und Initiativen gegen Langzeitarbeitslosigkeit mehr Sicherheit bringen soll. In den vergangenen Tagen hatte Gabriel außerdem moniert, dass Merkel erst eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gelassen habe und sich dann weigere, »die Voraussetzungen für Bildung, Ausbildung, Arbeit und auch für die innere Sicherheit zu schaffen«. Offensichtlich stimmt sich der SPD-Vorsitzende auf den Wahlkampf im kommenden Jahr gegen die Amtsinhaberin ein, in dem er auf linke Rhetorik setzen will.
Dass die Wahlschlappe der CDU in Mecklenburg-Vorpommern, das von der Einwohnerzahl zu den kleinsten Bundesländern zählt, nun ein Anzeichen dafür ist, dass Merkels Kanzlerschaft sich dem Ende neigt, wie einige Politiker der AfD behaupten, ist aber noch längst nicht ausgemacht. Derzeit drängt sich in der Union niemand auf, der ihr Nachfolger werden könnte. Zudem liegen CDU und CSU in den bundesweiten Umfragen deutlich vor den anderen Parteien. Ohne sie könnte nach derzeitigem Stand keine Bundesregierung gebildet werden. Das wird wohl nur so bleiben, wenn die Union ihre rechten Wähler in nächster Zeit mit einer verschärften Abschiebepolitik und weiteren »Sicherheitsgesetzen« beruhigen kann.
Ansonsten könnte es zu weiteren Wählerwanderungen kommen. Nutznießerin ist vor allem die AfD. Die Hoffnungen der politischen Konkurrenz, dass sich die Rechtspartei selbst zerlegt, dürften in absehbarer Zukunft nicht in Erfüllung gehen. Vielmehr besteht die Gefahr, dass ihre Anhängerschaft wachsen wird. Denn das Potenzial an Protestwählern ist groß. Trotz leichter Zuwächse bleiben weiterhin große Bevölkerungsgruppen den Europa-, Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen fern.
Wie sie mit der AfD umgehen wollen, werden in den kommenden Monaten auch die Bundesspitzen von LINKEN und Grünen beraten. Die Oppositionsparteien im Bund sehen sich inhaltlich als Hauptgegner der Rechten, müssen sich aber erneut mit der Frage auseinandersetzen, warum auch Teile ihrer Anhängerschaft zur AfD gewechselt sind.
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