Absurder Wettbewerb
Lena Tietgen findet, dass Flüchtlinge mehr als nur »Humankapital« sind.
Flüchtende sind mehr als »Humankapital«. Man könnte meinen, dies sei eine Binsenweisheit, und doch wird diese gerade in der Wissenschaftspolitik häufig vergessen. Euphemistisch wird mit dem Begriff »Humankapital« der Bedarf an ökonomisch verwertbarem »Menschenmaterial« zwecks Elitenbildung umschrieben, um dann noch ein Zukunftsversprechen hinten anzuhängen, nämlich das, an deutschen Universitäten die künftige Elite eines befriedeten Syrien auszubilden. Flüchtende haben in der Regel alles verloren. Sie befinden sich im Modus des Überlebenskampfes, in dem eine mögliche Partizipation an einer zukünftigen Elite gelinde gesagt weniger wichtig ist.
Davon abgesehen ist das Eliteversprechen eben nur ein Versprechen und keine Garantie. Es ist überhaupt nicht absehbar, wer in einem wie auch immer aussehenden zukünftigen Syrien welche Funktion übernehmen wird.
Flüchtende werden also in einen absurden Wettbewerb um eine unsichere Zukunft getrieben. Und sie haben keine Wahl. Kämpfen sie nicht um die nach wie vor viel zu knapp bemessenen Stipendien, werden sie kaum studieren können und infolge dessen ihre bislang erworbenen Qualifikationen verlieren. Also werden sie kämpfen. Die, die dann in die Gunst kommen, haben zwar die Chance, sich akademisch zu bilden, aber nur für eine ungewisse Zukunft; denn was nach dem Ende des Studiums auf sie wartet - Integration in die deutsche Gesellschaft oder Abschiebung, ist ungewiss. Mindestens diese Ehrlichkeit hätten sie verdient, denn es sind Menschen, die kommen, und keine Ware, die von A nach B verschickt wird.
Bildung muss ein Menschenrecht werden. Ein erster Schritt kann der Ausbau der Studienförderung für Flüchtlinge sein. Stipendienprogramme allein reichen nicht aus.
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