Dinosaurier der Medienwelt

Durchhalten, irgendwie: In Kassel steht die vielleicht älteste Videothek der Welt

  • Timo Lindemann, Kassel
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit mehr als 40 Jahren steht Eckhard Baum in seinem Laden und verleiht Filme. Er betreibt im hessischen Kassel die älteste Videothek Deutschlands. Doch deren Tage scheinen gezählt.

Wenn die Glocke schellt und sich die mit Filmplakaten beklebte Tür zum Video Film-Shop in Kassel (Hessen) öffnet, beginnt eine kleine Zeitreise. Ein erster Raum: eine alte Theke, Karteikarten statt Computer. Ein Sammelsurium von Kinderfilm-DVDs steht mannshoch in den selbst gebauten Holzregalen, die Filme für ältere sind in anderen Räumen untergebracht. Gummiringe zeigen an, wenn ein Film derzeit nicht verfügbar ist.

Eckhard Baum betreibt die nach eigenen Angaben älteste Videothek der Welt - und die hat sich seit Jahrzehnten kaum verändert. »Ich war der erste und will auch der letzte sein, zumindest in Kassel«, sagt der 77-Jährige. 1998 bestätigte ihm das »Guinness-Buch der Rekorde«, die älteste Videothek Deutschlands zu betreiben. Und als diese ist der Kasseler Video Film-Shop auch beim Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland (IVD) bekannt. Baum sagt: »Es ist sogar die älteste der Welt, denn in den USA hat die erste erst 1977 eröffnet.« Er selbst startete 1975 seinen Filmverleih, damals noch mit Super8-Filmen - ein bis in die 1980er Jahre gängiges Format - unter dem Namen »Videotheke«. »Ich war Filmfan, und Freunde liehen sich meine Filme oft aus, also hab ich gedacht, warum kein Geschäft daraus machen.« Mit VCR-Longplay, Video 2000, Beta Max und VHS sah Baum einige Systeme kommen und gehen - heute bietet er 13 000 verschiedene Titel an, meist auf DVD und Blu-Ray.

Stefanie Tiggemann aus Kassel kommt mit ihrem Sohn Tizian (11) immer mal wieder herein, um Filme auszuleihen. Heute sind es die Star-Wars-Teile II und III, als Vorbereitung für den aktuellen Film, den beide im Kino sehen wollen. »Wollen wir alte Filme ausleihen, kommen wir hier her. Die bekommt man ja sonst kaum noch. Für mich ist Streaming keine Alternative«, sagt sie mit Blick auf die Möglichkeit, Filme über das Internet anzusehen. Baum betont: »Wir haben Raritäten, die es sonst nicht mehr gibt. Die neuen Filme haben alle, die alten haben nur wir.«

Doch ihm ist bewusst, dass sein Laden einer aussterbenden Spezies angehört. »In fünf, sechs Jahren wird keiner mehr über Videotheken reden«, sagt er. Schon heute ist sein Geschäft mehr Hobby und eine Art Treffpunkt für Filmliebhaber. Das, was der Verleih von DVD und Co. abwerfe, reiche gerade, um die Kosten zu decken. »Ich mache das, um nicht zu Hause rumzusitzen. Ich will mich mit Leuten, auch mit jungen, unterhalten.«

Nach IVD-Angaben gab es 2014 in Deutschland 1544 Videotheken. 2007 waren es noch mehr als doppelt so viele - rund 4200. »Die Zahl der Videotheken geht deutlich zurück, weil Filme illegal im Internet angesehen werden«, sagt der Geschäftsführende Vorstand, Jörg Weinrich. Zudem würden Kunden, wenn eine Videothek schließe, auf Video-on-demand-Angebote im Internet oder Versand-Videotheken zurückgreifen. Dies führe zu weiteren Schließungen. Ebenfalls hart trifft Baum der Preiskampf unter den Videotheken. »Wenn man für 50 Cent Filme leihen kann, kann das nicht funktionieren.«

Winfried Heinemann kommt bereits seit Anfang der 1980er Jahre in den Video Film-Shop. »Wenn er hier schließen würde, muss ich halt länger warten auf das Fernsehen«, sagt der 57-Jährige. Auch er komme oft in den Laden, um zu reden, sagt er.

Die Suche nach einem Nachfolger hat Video-Veteran Baum aufgegeben. »In Kassel hatten wir mal 75 Videotheken, jetzt sind es vielleicht noch fünf. Da traut sich keiner ran«, sagt Baum. So steht er an sechs Tagen pro Woche rund sieben Stunden am Tresen. Wie lange das noch geht, weiß er nicht. Nur, dass er in Kassel der letzte sein möchte. dpa/nd

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