Werbung

Geschenkt!

Das Fest vorm Fest

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Schenken ist eine seltsame Mechanik geworden – in Zeiten, da das Grund-Gesetz lautet, es würde einem nichts mehr geschenkt. Vor das Fest der Liebe haben wir einige Wochen der gesteigerten Hetzerei gesetzt.

Fast vorbei! Nach Weihnachten werden wir wissen, wie jedes Jahr: Die Könige vom Morgenland hatten gegen Kaufland keine Chance. Der Einzelhandel ist unser letztes großes Kollektiverlebnis. Wir sind Gemütsdialektiker, die in Form freiwilliger Selbstbestrafung vor das Fest der Liebe und Selbstbesinnung einige Wochen der gesteigerten Hetzerei setzten. Als könne jeder Frieden nur akzeptiert werden, wenn ihm innerer Unfrieden vorausgeht.

Das Schenken ist eine seltsame Mechanik geworden. In Zeiten, da das Grund-Gesetz lautet, es würde einem nichts mehr geschenkt. Den Satz trägt jeder vor sich her wie ein Zertifikat: Geeignet für den Lauf der Welt! Das ist ganz Theologie der neueren Praxis! Von da war es bei Vielen nur ein Schritt bis zu jenem anderen Satz, der den Gedanken des Schenkens endgültig abtötet: Dieses Jahr gibt es aber wirklich nur vernünftige Geschenke! Der Satz gesteht: Verbindungen gekappt. Zwischen dem Leben und dem Wesentlichen. Dem Sozialen und dem Spirituellen. Du weißt das. Du weißt, dass der Alltag immer gegen das Wesentliche verstößt. Du kannst natürlich nicht immer wesentlich sein. Aber kannst du es überhaupt noch? Weißt du noch, was das ist oder war?

Wesentlich wäre - Atmosphäre zu schenken. So, dass man inmitten dessen, was man hat, doch ein Verlustgefühl hat: Dir fehlt etwas, weil es Ärmsten der Welt fehlt. Und dies noch empfinden zu können, diesen Verlust - das ist vielleicht schon das wahre Geschenk. So viel Bitterkeit wird verlangt beim »O du fröhliche«. Gegen so viel Dialektik opponieren die vernünftigen Geschenke. Sie sind nützlich, aber sie helfen freilich nicht. Schön zum Beispiel, wenn man einem Menschen Aufmerksamkeit schenkt.

Was ist Aufmerksamkeit? Mühe! Die Blume zum banalsten Moment. Das Geschenk in der anlasslosesten Stunde. Das verständige Schweigen, wo man Schweigen nicht aushält. Ins Einverständnis hinein die kritische Frage. Oder gar keine Frage, nicht mal die drängendste. Das Lächeln. Der Arm um die Schulter. Die helfende Hand. Die Decke, über einen leichten Schlaf gelegt. Ahnen, wo Alleinsein Not tut. Wissen, wann die Not kein Alleinsein aushält. Und das alles - zwischen freudiger Selbstlosigkeit und möglichst elegantem spielerischem Ausgleichen der familiären Egoismen - eingebettet in die natürliche Folge der Dinge: Kinder, Arbeit, Freunde, Nachbarn, Werktag und Wochenende, Leistungszeit und Urlaubszeit. Schwierige Übung.

Aufmerksamkeit schenken, das heißt: den jeweils anderen als natürlichen Teil des Ganzen nehmen. Anteil nehmen an dem, womit er anteilig jene Welt bildet, in der auch ich lebe. Es ist kein Zufall der Sprache: Bestimmte Worte für etwas, das uns abgefordert wird, verweisen auf Einnahmen. Zum Beispiel: Menschen wahr-nehmen, sie an-nehmen, an anderem Leben teil-nehmen. Geben sei besser als Nehmen? Besser ist solches Nehmen, das zugleich gibt. Anteilnahme mit Hingabe.

Wenn es Heiligabend durch zahllose Wohnzimmer »Oh« und »Ah« tönen wird, dann weiß man, dass jetzt, fast gleichzeitig, von Millionen Menschen das unpassendste und ideenloseste Geschenk ausgepackt wird - mit jenem Gesichtsausdruck beglückender Freude, der doch die Schrecksekunde nur überspielt. Im Falschen, das uns als Geschenk geboten wird, sind wir viele Einzelne tatsächlich ein Volk. Dass wir aber das Spiel mitspielen und die Krawatte, die Unterhose, das Paar Strümpfe, den Gutschein nicht sofort bärbeißig wegschieben, das muss letzten Endes doch als Zeichen unserer tiefinnerlichen Weihnachtsbereitschaft gesehen werden: Immer warten und hoffen wir auf jemanden, der besser als wir selber weiß, was wir uns wünschen, was wir brauchen. Auch wieder: sehr schwierige Übung. Auf die Enttäuschung, dass es nicht eintritt, reagieren wir deshalb mit der Milde eines biblischen Gleichmuts, der sich auskennt in den begrenzten Möglichkeiten des Menschen.

Wir wollen ja nicht wirklich etwas Vernünftiges geschenkt bekommen. Jeder Einzelne will im Gegenteil das absolut Unvernünftige, das schöne Unvorstellbare, das freilich Unerfüllbare: Er möchte durch Beschenktwerden nicht an-, sondern ausgesprochen sein. Er möchte in einem Geschenk gewissermaßen - erraten werden. Für solche Gaben bedarf es einer Gabe. Man könnte sie gelebte Nähe nennen. Sie könnte Weihnachten zum Fest machen, wenn wir nur die Vorbereitung schon als das wahre Fest verstünden.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.