Meine lesbischen Freundinnen waren schockiert
Julianne Moore und Cate Blanchett sind die Musen des Mannes, der den amerikanischen Frauen ein Gesicht jenseits kleinbürgerlicher Klischees gab. In »Safe« brillierte Moore als Hausfrau des New Age, die auf Putzmittel allergisch reagiert. In »Der Himmel so fern« porträtiert sie eine Hausfrau der McCarthy-Ära, deren Mann homosexuelle Neigungen auslebt. Mit Blanchett drehte Haynes »I´m not there«, ein fiktives Bob Dylan Biopic, und nun »Carol« nach dem Roman »The Prize of Salt« von Patricia Highsmith.
Im New York der frühen Fünfziger Jahre verführt die reiche Carol die Verkäuferin Therese. Nachdem ihr Mann die Affäre entdeckt, fliehen beide durch die USA. Rooney Mara wurde für ihre Therese in Cannes mit dem Preis als beste Schauspielerin geehrt. »Carol« ist einer der großen Favoriten bei der kommenden Oscar-Verleihung. Bei der Frankfurter Buchmesse wurde »Carol« als Literaturverfilmung des Jahres 2015 ausgezeichnet.
Warum wählten Sie wieder eine Story, die Sie in die Vergangenheit führt?
Es mag ein wenig selbstsüchtig klingen, aber ich lerne über den Blick zurück für mein Leben.
Patricia Highsmith hatte Schwierigkeiten, für den Roman einen Verleger zu finden. Wie sind Sie auf ihn gestoßen?
Der Roman war auch mir unbekannt, was meine lesbischen Freundinnen schockierte. Die Vorbereitungen für die Adaption waren schon weit fortgeschritten, als die Kostümdesignerin Sandy Powell mir von dem Projekt erzählte. Cate Blanchett hatte ihr Interesse signalisiert und Liz Karlsen, eine meiner ältesten Freundinnen, sollte den Film produzieren. Ich habe mich ihr aufgedrängelt.
Und Sie hatten keine Angst, als Mann von den intimen Gefühlen von Frauen zu erzählen?
Ehrlich gesagt, die Frage habe ich mir nie gestellt, weil ich die Paranoia, die Ungeduld und die Selbstzweifel der beiden Frauen nur zu gut kenne. Liebe ist Liebe, ganz egal ob in einer homo- oder bisexuellen Konstellation.
Gibt es in der Handlung Parallelen zum Leben von Highsmith?
Als Mittzwanzigerin arbeitete sie in der Weihnachtszeit des Jahres 1948 im Warenhaus Bloomingdale's in der Puppenabteilung. Hals über Kopf verknallte sie sich dort in eine elegante und reiche Kundin. Sie wurde fiebrig und bekam Windpocken. Sie war eine Woche krank und hat sich in dieser Zeit die Geschichte ausgedacht, die bei ihrem Erscheinen einen Schock auslöste.
Was macht dies heute noch erzählenswert?
Wenn sich Frauen damals ein Appartement teilten, hatte es eine völlig andere Bedeutung als heute. Sie waren noch schlechter angesehen als Frauen, die ohne Trauschein mit einem Mann zusammenlebten. Diese Stigmatisierung und die Art, wie sie ihre Liebe heimlich gestalten konnten, interessierte mich mehr als die oberflächliche Frage, ob sie sich küssen oder Sex haben konnten.
Was haben Sie im Vergleich zum Roman verändert?
Highsmith beschrieb aus der Sicht von Therese ihre Erfahrungen. Wenn sich Lesben damals verliebten, mussten sie mit kriminalistischem Spürsinn herausfinden, ob die andere für solche Beziehung bereit ist. Sie beobachteten jedes Detail und deuteten jedes Zeichen. Die erste Drehbuchfassung meiner Autorin Phyllis Nagy, die Highsmith persönlich kannte, betonte diesen seelischen Zustand. Außerdem gab sie Carols Schicksal bereits Raum. Doch ein wichtiges Element aus dem Roman hatte sie verändert. Die Frauen gingen sehr distanziert miteinander um. In Highsmiths Buch schwingt dagegen eine ungeheure Zärtlichkeit zwischen den beiden mit. Diese Emotionen habe ich bei der Überarbeitung zurückgeholt und mit Anregungen aus einigen Filmen ausgeschmückt.
Welche Titel waren dies?
David Leans »Begegnung«, den er 1945 mit Celia Johnson und Trevor Howard drehte, stand Pate für die Struktur der Geschichte. Beide Filme wecken die Neugier des Zuschauers mit einer Unterhaltung, gehen dann in die Vorgeschichte der beiden Figuren, und enden mit der Anfangsszene. Wenn der Kreis vollendet ist, ergibt die Konversation zwischen Carol und Therese einen anderen Sinn. Im Gegensatz zu Lean wählte ich für das Gespräch unterschiedliche Perspektiven. Zu Beginn nehme ich Therese Sicht ein, am Schluss die von Carol.
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