Triumpf der Ergrauten
Katharina Dockhorn über die Preisträger des diesjährigen Europäischen Filmpreis
Paolo Sorrentinos »Das ewige Leben«, in dem ein pensionierter Regisseur noch einmal ins Blitzlichtgewitter zurückkehren will, traf den Nerv der Mitglieder der Europäischen Filmakademie. Drei Preise räumte das konventionelle Melodrama ab, neben dem Regisseur wurde auch Michael Caine geehrt. Und so wurde es ein Abend einer gestandenen Generation europäischer Filmemacher und etablierter Stars des Kontinents: Charlotte Rampling, 69, Christoph Waltz, 59, Roy Andersson, 72. Wobei der Schwede bewies, dass das Alter kein Hindernis, um Risiken einzugehen. In seiner bitterbösen Farce stellt er narrative Erzählmuster in Frage und lotet mit feinssinig komponierten, skurrilen Bildkompositionen die Möglichkeiten des Films als Kunst aus.
Europas Kino ist Opas Kino, es ist in die Jahre gekommen, dieses Signal sendet die diesjährige Entscheidung der Film Academy, auch wenn der Drehbuchpreis an die innovativen jungen griechischen Filmemacher Yorgos Lanthimos & Efthimis Filippou ging, die in dem Science-Fiction Film »The Lobster« eine grandiose Metapher für die Situation ihrer Heimat finden: Bei Strafe der Verbannung in eine Todeszone werden alle Bewohner einer Stadt gezwungen, eine Beziehung eingehen.
Ergraute Köpfe auch auf der Bühne, Wim Wenders und Agnieszka Holland, verdienstvoll, seit Jahren unermüdliche Vorkämpfer für die Idee des vereinten Kintops und des vereinten Kontinents. Doch die routiniert abgespulte Gala leidet seit Jahren unter mangelndem Selbstbewusstsein. Nur wer nicht darauf vertraut, dass die europäische Filmgemeinde und die Zuschauer die eigenen Kunstwerke kennen und lieben, lässt sie von den Laudatoren erklären.
Bei den Dokumentarfilmen setzte sich das grandioses Künstlerporträt »Amy« durch, »A Syrian Love Story« um das Schicksal einer in Frankreich im Asyl lebenden Familie aus Aleppo ging leer aus. Trotzdem waren die politischen Signale des Abends eindeutig. Deniz Gamze Ergüven widmete ihren Preis einem in ihrer Heimat inhaftierten Journalisten. Daniel Brühl zitierte aus einem Brief des in Moskau zu 20 Jahren Haft verurteilten ukrainischen Regisseur Oleg Sentzow, für dessen Freilassung sich die Academy unermüdlich einsetzt.
Natürlich wurde der schrecklichen Attentate von Paris gedacht - aber auch die europäischen Filmemacher schaffen es nicht, der Opfer des Abschusses eines russischen Flugzeuges über dem Sinai oder von Anschlägen in der Türkei zu gedenken. Die Mauern, deren Bau wortreich befürchtet wird, werden manchmal auch durch Lücken aufgebaut.
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