Tappen im Dunkeln

Warum werden Anschläge auf Asylbewerberunterkünfte kaum aufgeklärt?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Seit Mitte 2013 steigt die Anzahl der Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte. Die Sicherheitsbehörden sehen eine besondere Gefahr für den Rechtsfrieden - und versagen bei deren Abwehr.

In diesem Jahr wurden - Stand 7. Dezember - bundesweit 817 sogenannte lagerelevante Delikte zum Themenfeld »Straftaten gegen Asylunterkünfte« registriert, teilt das Bundeskriminalamt auf nd-Anfrage mit. Für 733 dieser Übergriffe seien rechtsextremistisch motivierte Täter verantwortlich, bei 84 Delikten könne eine politische Motivation nicht sicher ausgeschlossen werden. Überwiegend handle es sich um Sachbeschädigungen (291), Propagandadelikte (170) und Volksverhetzungen (96), teilt die oberste Bundeskriminalpolizeibehörde mit und merkt besorgt an: »Die bisherige Höchstmarke aus dem vergangenen Jahr (28) wurde mit 130 Gewalttaten in diesem Jahr bereits überschritten.«

68 Brandstiftungen - davon neun Versuche - sind registriert. Im vergangenen Jahr waren es sechs. Die Aufklärungsrate ist erschreckend gering, noch seltener sind Schuldsprüche durch einen Richter. Ganze vier sind recherchierbar, in weiteren acht Fällen wurde Anklage erhoben. Es könnte der Eindruck von Unfähigkeit entstehen. Doch damit wird man den polizeilichen Ermittlern wohl nicht gerecht. Recherchen nach Bränden sind zumeist kompliziert und langwierig. Zudem hat man es nun mit mit einem neuen, weil auch massenhaften Phänomen zu tun. Mit bisherigen Methoden ist dem nicht beizukommen.

»Es reichen einfachste Mittel, um eine gewaltige Wirkung zu entfalten. Man geht einfach in einem Baumarkt und kauft ein Paket Grillkohleanzünder«, sagt ein Experte gegenüber »nd«. Diese Methode bietet sogar noch »üppige« Ermittlungsansätze, denn es setzt den Einkauf voraus. Oftmals liegen aber genug Tatwaffen von der letzten Grillsaison griffbereit in Sommerlauben herum. »Wenn man am Tatort nicht irgendwelche signifikanten DNA- oder Fingerabdruckspuren hinterlässt, wird’s eng.« Und selbst wenn - sind keine Vergleichsdaten gespeichert, endet auch dieser kleine Ermittlungsansatz im Nichts.

Bei der Gewerkschaft der Polizei ist man nicht der Ansicht, dass es in den Fachdienststellen zu wenige Ermittler gibt, zumal ja auch der Staatsschutz bei derartigen Delikten einbezogen wird. Es gebe überdies einen intensiven bundesweiten Austausch zwischen den zuständigen Brandermittlern. An einem Tisch sucht man nach wiederkehrenden und verwertbaren Tatmerkmalen. So könnte man möglicherweise Rückschlüsse auf eine Steuerung der Anschläge ziehen. Bislang jedoch suchte man die vergebens, wohl weil das Moment der mehr oder weniger spontanen Nachahmung ein wesentliches ist. Angesichts der geringen Ermittlungserfolge ist das Risiko für die Täter extrem klein.

Gegen derart wenige »Anfasser« kann die Polizei eigentlich nur mit verstärkter Observation gefährdeter Objekte rund um die Uhr reagieren. Doch dafür fehlt auch angesichts gesteigerter Gefahren durch islamistischen Terrorismus erfahrenes Personal. Wenn keine Tipps aus der Szene kommen - und die bleiben bislang aus - kann man nur hoffen, Hasspyromanen auf frischer Tat zu erwischen. Aber die Tatzeitpunkte liegen zumeist zwischen zwei und fünf Uhr. Da schläft selbst der aufmerksamste Nachbar und im Landkreis ist nur ein Funkwagen unterwegs. Selbst wenn ein Notruf eingeht, kann es dauern, bis die Polizei vor Ort ist. In ländlichen Gebieten Sachsen-Anhalts beispielsweise braucht man selbst mit Blaulicht durchschnittlich 20 Minuten. Das entspricht bundesweitem Trend.

Solange kein bundesweites Netzwerk ausgemacht ist, solange die Taten nicht als Terrorismus eingestuft und vom Generalbundesanwalt verfolgt werden, kann das BKA nicht selbst ermitteln. Also verfolgt man dort vor allem Szenereaktionen auf solche hassmotivierten Anschläge, durchsucht soziale Medien nach entsprechenden Kommunikationsinhalten. Mittlerweile gibt es ein spezielles Projekt namens »Datenanalyse Anti-Asyl-Aktivitäten«. Federführend dabei ist das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die Ergebnisse dieser gemeinsamen Recherchen werden dem Bundesinnenministerium sowie dem Generalbundesanwalt übermittelt. Eine Berichtskopie bekommt das Bundeskanzleramt, denn: Die Regierung will, so sagte Angela Merkel im September, »mit der ganzen Härte des Rechtsstaats« gegen Menschen vorgehen, die Flüchtlinge angreifen. Bislang ist das nur ein leeres Versprechen.

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