Wenn Merkel Tom Hanks über die Schulter schaut
Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke: Mit »Bridge of Spies – der Unterhändler« frönt Steven Spielberg seinem großen Hobby, der Geschichte
GDR, Steven Spielberg nutzt bei der Vorstellung seines Agenten-Thrillers »Bridge of Spies – der Unterhändler« stets die offizielle Abkürzung der German Democratic Republik. Er sitzt im »Hotel Adlon« vor einem Poster der Glienicker Brücke des Jahres 1962 mit Blick auf das Emblem der DDR, wo erstmals Agenten von Ost und West frei gelassen wurden. Vor der Tür des Nobel-Hotels demonstrierten syrische Flüchtlinge für eine würdige Unterbringung.
»Bewahren Sie sich Ihr Mitgefühl gegenüber Menschen, die vor dem Terror fliehen. Mehr als diesen Rat kann ich den Europäern nicht geben«, betont Steven Spielberg am 13. November zur Flüchtlings-Problematik. Von der abendlichen Premiere von »Bridge of Spies – der Unterhändler« im Zoo-Palast flog er gemeinsam mit Tom Hanks, Amy Ryans und Sebastian Koch nach Paris. Das Quartett war in der Luft, als der Terror die französische Metropole erschütterte. Nach den schrecklichen Anschlägen wurde die für Samstag geplante Feier abgesagt.
Mit »Bridge of Spies – der Unterhändler« frönt der geniale Geschichtenerzähler wieder seinem großen Hobby, das er mit Tom Hanks teilt »Wir interessieren uns brennend für Geschichte. Wir leihen uns gegenseitig Bücher und machen uns auf Dokumentarfilme aufmerksam,« erzählt Spielberg. Im Zentrum seines neuen Films steht der New Yorker Anwalt James Donovan (Tom Hanks). Er verteidigte den 1957 inhaftierten sowjetischen Spion Rudolf Abel (Mark Rylance) und verhinderte das Todesurteil. 1962 wurde er von der CIA angeheuert. Im Osten Berlins verhandelte Donovan mit dem Geheimdienst der Sowjetunion und DDR-Anwalt Wolfgang Vogel (Sebastian Koch) den Austausch Abels gegen den über dem Ural abgeschossenen US-Pilot Gary Powers und den amerikanischen Studenten Frederic Pryor, der am Tag des Mauerbaus in Berlin vom Stasi verhaftet worden war.
»Meine eigenen Erinnerungen wurden wach, als mir dieses Buch angeboten wurde,« gesteht Spielberg. Ursprünglich interessierte Autor Matt Chapman ein weiterer Erfolg Donovans. Der Anwalt erwirkte die Freilassung von Tausenden Amerikanern nach der Invasion in der Schweinebucht in Kuba. »Von Donovans Einsatz für Abel und dem Agentenaustausch an der Glienicker Brücke hatte er nie gehört,« so Spielberg weiter.
Für ihn, den Sohn russisch-jüdischer Einwanderer, gehört der Austausch zur Familiengeschichte. Sein Vater, IT-Spezialist, arbeitete in Moskau, als Powers Maschine dort ausgestellt wurde. »Er stand stundenlang an, um die Trümmer zu besichtigen, und spürte den Zorn der Russen. Seine Erzählungen über diese Episode habe ich nie vergessen.«
Spielberg blickt auf alle Seiten kritisch zurück, wobei sich erstaunliche Parallelen auftun. Das New York Ende der 1950er ist von der Angst vor Kommunisten und einem Atomkrieg geprägt. Der halbwüchsige Sohn von Donovan, der aus Angst vor einem Atomkrieg die Badewanne mit Wasser fülle, sei er selbst, verriet Spielberg dem »Spiegel«. Die Angst und die Illusion des Überlebens des Atom-Infernos wurden – wie wohl in beiden deutschen Staaten –in der Schule vermittelt. Die Beschwörung der Fahne in einer US-Klasse gleicht dem Ritual, das viele Deutsche vom Morgenappell aus der DDR kennen.
Hanks und Spielberg sprechen stets von der GDR, der DDR. Der Regisseur verschweigt die Schrecken der Trennung durch die Mauer und die Toten nicht, trotzdem schafft er ein differenziertes Bild über die separaten Verhandlungen von Donovan mit Wolfgang Vogel um die Freilassung von Pryor. »Donovan hat seinen Kopf gegen den CIA durchgesetzt, um den Ökonomiestudenten zu retten. Das entsprach seinen Prinzipien«, erläutert Spielberg die Fakten, auf denen der Film basiert. »Wolfgang Vogel sah bei diesem Austausch die Chance, der Anerkennung der DDR als unabhängiger Staat näher zu kommen. Die DDR wollte nicht länger als Anhängsel Moskaus gelten, sie wollte sich emanzipieren. Nicht nur in den Augen der Welt, sondern auch gegenüber der Sowjetunion.«
Der finale Agentenaustausch wurde an historischer Stätte gedreht. Beim nächtlichen Dreh an der Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam schaute Angela Merkel Spielberg über die Schultern. »Es war bitter kalt,« erinnert sich Hanks, die Temperaturen waren unter den Nullpunkt gefallen. »Die Schauspieler standen mit dünnen 60er Jahre Klamotten herum während Crewmitglieder in warme Winterklamotten mit Thermounterwäsche gehüllt waren. Ich habe gebibbert. Aber es passte zum Kalten Krieg.«
Neben Berlin und Umgebung wurde in Wroclaw gedreht, der Heimatstadt von Kameramann Janusz Kaminski. Mit dem gebürtigen Polen arbeitete Spielberg das erste Mal für »Schindlers Liste« zusammen. »Unsere Rückkehr löste in uns nostalgische Gefühle aus,« erzählt der Filmemacher. »Janusz zeigte mir die Stadt, wo er aufwuchs. Ich kann nun besser verstehen, wie er zu dem wurde, der er heute ist. Und es war toll dort wieder zu drehen. Die Menschen sind sehr freundlich.«
»Bridge of Spies« gilt als einer der Favoriten bei der Oscar-Verleihung. Doch solch Ruhm ist für Spielberg, der am 18. Dezember seinen 69. Geburtstag feiert, zweitrangig. Der Kinomagier hat wie kein Zweiter das Kino verändert. »Der Film war und ist für mich die ideale Art der Kommunikation. Meine Filme spiegeln wieder, was mich in der Zeit ihrer Entstehung beschäftigte,« blickt er auf seine Karriere zurück.
Im Thriller »Der weiße Hai«, 1975, verarbeitete Film-Wunderkind Spielberg eigene Ängste. Und es war der erste Film einer Epoche, in der sich das Kino durch die »Spielberg Factory« nachhaltig veränderte. »Durch meine unterhaltenden Filme für die Babyboomer-Generation bin nicht ganz unschuldig an der Entwicklung zum Popcorn-Kino,« denkt Spielberg.
Nach »E.T.« und der »Indiana-Jones« Trilogie eroberte Spielberg mit der Dino-Utopie »Jurassic Park« die Kinokassen. Mit großer Skepsis wurde daher Anfang der 1990er die Ankündigung des Kino-Magiers aufgenommen, einen Film über den Holocaust zu drehen. Für »Schindlers Liste« gewann Spielberg den ersten Oscar und begann seine kinematografischen Geschichtslektionen. Auf »Amistad« um die Verschleppung Tausender Afrikaner in die USA folgte das Biopic um den Sklaven-Befreier »Lincoln«. Von den Schrecken des 1. Weltkriegs erzählte er in »War Horses«, zuvor hatte er in »Soldat James Ryan« die verlustreiche Landung in der Normandie bebildert.
»Ich bin in den vergangenen Jahren Risiken eingegangen, um die Geschichten zu erzählen, die mir am Herzen lagen. Diesen Grundsatz werde ich weiter ins Zentrum meiner Wahl stellen,« betont der Meisterregisseur. Doch auch die Fans seiner Phantasy-Welt werden künftig nicht zu kurz kommen, beruhigt Spielberg. Harrison Ford versprach er im Oktober ein fünftes Abenteuer des verwegenen Archäologen Indianer »Indy« Jones, wobei die Pläne noch vage sind. Der Produzent Spielberg entwickelt einen weitere »Tintin«-Auftritt und betreibt die Rückkehr der Gremlins. In der Postproduktion ist »BFG« nach Roald Dahls Bestseller um das Waisenmädchen Sophie und einen Riesen, der von seinen Artgenossen verachtet wird, weil er sich weigert Kinder zu essen. Eine Geschichte über Menschen, die die mit dem Herzen auf andere sehen, die anders sind als man selbst. Und die sich vom Mitgefühl leiten lassen.
In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.