Behörde sagt Nein
Arbeitsmarktintegration für Geflüchtete gestaltet sich schwierig
An einigen Stellen hängen noch Kabel aus der Decke und im Ruhebereich für Familien röhrt die Bohrmaschine. Dennoch: Im Vergleich zum Standort des Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) in der Turmstraße wirkt die neue Registrierungsstelle in der Bundesallee nahezu luxuriös. Vor den Türen warten keine frierenden Menschen, auch die Wartesäle sind gegen Mittag nur halb gefüllt.
Von Raum zu Raum werden die Asylbewerber durch das Haus geführt, vom LAGeSo zum Bundesamt für Migration (BAMF), von dort zur Ausländerbehörde und zur Bundesagentur für Arbeit (BA). Im Idealfall soll die Registrierung an einem Tag erledigt sein. Bis Anfang des kommenden Jahres sollen 1000 Fälle am Tag bearbeitet werden. Von solchen Zielen ist das Behördenensemble allerdings noch weit entfernt. Thomas Schulze, der das Konzept Bundesallee mit entwickelt hat, geht derzeit von täglich 200 bis 300 Registrierungen aus. Auch können längst noch nicht alle am selben Tag ihr Asylgesuch beim BAMF vortragen. Von der neuen Registrierungsstelle profitieren in erster Linie Asylbewerber mit hohen Anerkennungschancen. Das sind Menschen aus dem Irak, Iran, Syrien und Eritrea. Sie bekommen ein Schnellverfahren - Bearbeitungsdauer zwischen einem und drei Tagen. 345 solcher Direktverfahren hat das BAMF seit Arbeitsbeginn in der Bundesallee bereits abgeschlossen.
Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD), die am Mittwoch verschiedene Projekte besuchte, die sich mit der Arbeitsmarktintegration Geflüchteter beschäftigen, ist stolz auf das »Berliner Modell«. Sie hofft vor allem auf einen schnellen Einstieg ins Arbeitsleben. In der Praxis begegnen den Menschen auf dem Weg in Arbeit oder Ausbildung jedoch enorme Hürden - besonders denen, die in Deutschland nur geduldet sind oder in einem längeren Asylverfahren stecken, da sie nicht aus Ländern mit hoher Anerkennungswahrscheinlichkeit kommen.
Das Modellprojekt Arrivo gibt Asylbewerbern die Möglichkeit, in verschiedene Ausbildungsberufe hineinzuschnuppern und vermittelt Praktika und Ausbildungen. Rund 150 Berliner Betriebe haben Interesse für Geflüchtete bekundet. »Ich schätze den Berliner Arbeitsmarkt als aufnahmefähig ein«, so Kolat. Außerdem sehe sie bei vielen Arbeitgebern ein hohes Maß an sozialem Engagement. In den Werkstätten des Arrivo-Hauses in Kreuzberg durchlaufen die Flüchtlinge zuerst einen Parkours verschiedener Handwerksberufe. Die Aufnahme einer anschließenden Ausbildung scheitert jedoch oft an der Ausländerbehörde. Der junge Amir aus Afghanistan möchte Industriemechaniker werden. Er spricht fließend Deutsch und hat ein Unternehmen gefunden, das ihm einen Ausbildungsvertrag anbietet. Die Ausländerbehörde aber verweigert die Zustimmung. »Die Berliner Ausländerbehörde ist extrem restriktiv und schöpft ihre Spielräume kaum aus«, erklärt Arrivo-Projektleiter Anton Schünemann.
Ähnliche Erfahrungen hat auch Alexander Fourestié vom Projekt Hospitality gemacht. Die Initiative ermöglicht Flüchtlingen Praktika im Gastgewerbe, nebenbei erhalten sie einen branchenspezifischen Deutschkurs. Fourestié erklärt, dass die politische und rechtliche Situation sich sehr negativ auf die Integrationsarbeit auswirke. »Wir hatten bereits drei unterschriebene Ausbildungsverträge«, sagt er. Zwei davon können jedoch nicht angetreten werden. In einem Fall verweigert die Ausländerbehörde die Zustimmung, im anderen befindet sich der Flüchtling bereits auf dem Rückweg Richtung Balkan. Asylbewerber und Geduldete aus sicheren Herkunftsstaaten darf das Hospitality-Projekt nicht mehr aufnehmen.
Für viele Flüchtlinge ist der Weg auf den Arbeitsmarkt reine Reihe von Frustrationen. »Wir müssen viel Aufklärungsarbeit leisten«, sagt Bernd Becking, Geschäftsführer der Berliner BA. »Viele wollen sofort Geld verdienen und sind enttäuscht, wenn ihnen klar wird, dass sie erst Praktika und eine Ausbildung brauchen.«
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