Russen dicke da in Chorin
Der Kartenvorverkauf für den Musiksommer im kommenden Jahr beginnt am 1. Dezember
Es ist nun schon der 53. Musiksommer, der vom 25. Juni bis zum 28. August 2016 im Kloster Chorin stattfindet. Es ist das größte und vielseitigste Musikfest im Land Brandenburg. 20 Konzerte stehen auf dem Programm. Das Spektrum reicht vom klassischen Sinfoniekonzert bis zum A-cappella-Chor oder zum Klavierquartett und zum Blasorchester. Im »größten Konzertsaal Brandenburgs« präsentiert Chorin vorrangig Klangkörper aus Brandenburg, aus Berlin und aus Polen. Zur Eröffnung spielt am 25. Juni das Brandenburgische Staatsorchester Frankfurt Sergej Prokofjews Klavierkonzert Nr. 3 und Dmitri Schostakowitschs 10. Sinfonie. Den russischen Klang lässt die Stettiner Philharmonie am 13. August »mit großem musikalischem Kino« (Programmheft) weiter schweben mit Peter Tschaikowskis 4. Sinfonie und Sergej Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2, gespielt von dem jungen Konrad Skolarski.
Freilich brauchte es, um die Musikfreunde von der Attraktivität der angekündigten Meisterwerke zu überzeugen, solch deftiger Sprüche im Programmheft nicht, wie »eine Abrechnung des in Ungnade gefallenen Schostakowitsch mit dem Diktator« (Stalin) oder von einer Hassliebe Prokofjews zu seinem Vaterland, dessen Klavierkonzert von der »mit allen Wassern der harten russischen Klavierschule gewaschenen« Anna Gourari gespielt wird oder von dem auf dem »schwergewichtigen Schlachtross russischer Klavierliteratur« reitenden Skolarski.
Weitere klassische Sinfonieorchester im Programm sind beispielsweise die Staatskapelle Weimar mit »Peer Gynt« von Edward Grieg und Brahms' 1. Sinfonie, das Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus mit einem reinen Franz-Schubert-Programm und das Konzerthausorchester Berlin, das die 1. Sinfonie von Anton Bruckner sowie »Chairman Dances« von John Adams und das Violinkonzert Nr. 1 von Philip Glass spielt. Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin beschließt wie immer den Musiksommer mit Anton Bruckners 4. Sinfonie, der »Romantischen«.
2015 Jahr erschien das Orchester der Komischen Oper Berlin mit dem berühmten Oboisten Albrecht Maier und es kommt nun 2016 wieder mit der nicht minder berühmten Klarinettistin Sabine Meyer, die - was sonst? - unter der Leitung von Generalmusikdirektor Henrik Nanasi Wolfgang Amadeus Mozarts Klarinettenkonzert A-Dur spielen wird.
Dazu gesellen sich neudeutsch weitere »Formate«, die so neu in Chorin gar nicht sind, wie die berühmten A-cappella-Chöre Dresdner Kreuzchor und Regensburger Domspatzen sowie das Vokalensemble amarcord, quasi »Alte Herren« des Leipziger Thomaschors, die Gesänge aus dem Notenschrank der Thomaner und Neueres mitbringen. Gespannt sein darf der Zuschauer, wie beim 800 Jahre alten Kreuzchor »in der Schlange der Gratulanten auch die größten Komponisten aus Deutschland und aller Welt« stehen, wie das Programmheft ankündigt.
Weitere interessante »Formate« sind das »rekordverdächtige« Gershwin Piano Quartett aus den USA, das in einer »schwarz-weißen Materialschlacht« (Programmheft) Werke von George Gershwin und Leonard Bernstein hämmern wird. Das C. Bechstein Centrum Berlin darf sich für seine vier Flügel freuen. Auch die neu gebaute Bühne kann sich bewähren. Die Sächsische Bläserphilharmonie brilliert mit klassischem Repertoire von Bach, Mozart, Schubert und Brahms. Lustig wird es bei den acht Hornisten »German Hornsound«, die im Kinderkonzert am 30. Juli um 12 Uhr gemeinsam mit Kika-Moderator Malte Arkona »Hänsel und Gretel« von Engelbert Humperdinck erzählen und nachmittags für groß und klein »Bilder einer Ausstellung« von Mussorgski und Stücke von Prokofjew, Schostakowitsch und Tschaikowski bläserisch intonieren werden.
Nach dem Beispiel des Konzerthausorchesters vor zwei Jahren will am 27. August das Brandenburgische Staatsorchester den ganzen Nachmittag lang ein »tierisches Musikfest« auf Bühnen im gesamten Klostergelände veranstalten.
So schön und innovativ das Fest auch sein mag, man vermisst zwei Ensembles, die zum Stamm des Choriner Musiksommers gehören: die Kammeroper Rheinsberg und die Berliner Symphoniker. Die Operngala der Kammeroper begeisterte stets die Opernfreunde, die aber, wie der Künstlerische Leiter Christoph Drescher erklärt, die Klosterkirche nicht ausreichend füllten. Der neue Operndirektor Frank Matthus will sich eine neue Form überlegen, hat sie aber noch nicht gefunden. Dennoch bleibt das Fernbleiben ein doppelter Verlust - für das künstlerische Spektrums Chorins, hauptsächlich aber für die jungen begabten Sänger von allen Kontinenten, die hier ihr Können zeigen könnten.
An Besuchern hat es hingegen bei den Konzerten der Berliner Symphoniker nie gemangelt. Sie gehörten gewissermaßen zum Stammpersonal wie das Konzerthausorchester, das Rundfunk-Sinfonieorchester und das Staatsorchester Frankfurt. Es ist ein bewährtes Orchester mit klassischem Repertoire und namhaften Solisten, das durch die Streichung der Zuschüsse des Berliner Senats im Jahre 2004 schwer gefährdet wurde, sich aber aus eigener Kraft und mit Selbstausbeutung am Leben erhält. Der verstorbene Begründer des Choriner Musiksommers Gunter Wolff engagierte sie Jahr für Jahr dank ihres soliden Niveaus und, wie er stets betonte, aus Solidarität. Denn die Musiker leben nicht wie andere vom Gehalt, sondern von der Gage für jedes einzelne Konzert. Mit Auslandstourneen »verdienen« sie das Geld, mit dem sie die Saalmiete für die verbliebenen sechs Anrechtskonzerte in der Berliner Philharmonie bezahlen müssen.
Die gute Tradition hat Christoph Drescher 2015 unterbrochen, weil er »flexibler werden« und das Spektrum der Klangkörper erweitern wollte. »Dann aber sicher 2016«, schrieb er an den Intendanten Jochen Thärichen. Das gebrochene Wort ist »im Geschäft« nichts weniger als unfair. Und Solidarität? In der Arbeiterbewegung wird sie nicht als Mitleid verstanden, sondern als Unterstützung für den Bruder im Klassenkampf.
Chorin ist ein Denkmal. Der Denkmalschutz hat die Landesregierung überzeugt, dass neue Stühle die schweren Bänke, die den Boden der Kirche zerstören, ersetzen müssen. Die Sitze werden bequemer und verbessern die Sicht, aber von 1400 bleiben nur 1200, das heißt - weniger Einnahmen. Die Eintrittspreise wurden 2015 bereits erhöht, aber die Stühle wurden nicht fertig. 2016 soll es klappen. Für die Stühle und für den Umbau der Bühne hat die Landesregierung 80 000 Euro ausgegeben.
Ticket-Vorverkauf ab 1. Dezember, Tel.: (033 34) 81 84 72, choriner-musiksommer.de
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