»Feuer und Flamme« gegen Olympia
Eine Woche vor dem Referendum über die Sommerspiele im Jahr 2024 in Hamburg wächst die Ablehnung
Rund 500 Menschen zogen am Samstagnachmittag durch die Hamburger Innenstadt, um den »Herren der Ringe« den Kampf anzusagen. »Olympia heißt: Milliardengrab, Billiglöhne, Verdrängung, Überwachung, Umweltzerstörung« war auf Transparenten der Demonstration mit dem Motto »Nein zu Olympia − die Spiele der Reichen verhindern!« zu lesen. Die Passanten bekamen bei typisch norddeutschem Schietwetter weitere düstere Visionen zu hören: »Großkonzerne, wie Coca Cola und Visa, die Sponsoren des IOC sind, haben exklusive Rechte. Mit Knebelverträgen plündern sie die öffentlichen Kassen«, kritisierte Mehmet Yildiz von der Linksfraktion in Hamburgs Bürgerschaft. Auch Vertreter der Linksjugend [‘solid], die Jugendorganisation der Föderation Demokratischer Arbeitervereine sowie organisierte Fans des Hamburger Sportklubs und vom FC St. Pauli skandierten immer wieder: »Eines ist gewiss: Olympia ist Beschiss!«
Andere Redner prognostizierten voraussichtliche Folgen der Terroranschläge von Paris für Hamburg. Die »Militarisierung des Alltags, für deren Durchsetzung die Olympischen Spiele einen willkommenen Anlass liefern, wird in Zukunft mit voller Wucht gegen alle Menschen in der Hansestadt durchschlagen, die ihr Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit wahrnehmen wollen«, warnte ein Vertreter des Roten Aufbau Hamburg.
Die Gruppe gehört zum außerparlamentarischen Bündnis »Revolutionäre Linke Hamburg«, die sich aus den Organisationsstrukturen des Revolutionären 1. Mai gebildet hat. Sie hatte zu der Demo am Sonnabend aufgerufen. »Die Olympiabewerbung ist ein Klassenprojekt. Von einer Austragung der Spiele in Hamburg würden vor allem Eliten in Wirtschaft und Politik und ein paar Sportfunktionäre profitieren, und zwar auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung«, warnte eine Sprecherin der Organisation.
Ihre Kampagne »Nein zu Olympia« ist erst vor einigen Wochen entstanden. Das breiter aufgestellte »NOlympia Hamburg-Netzwerk« ist dagegen bereits seit dem Beschluss des Deutschen Olympischen Sportbundes vom 21. März aktiv, als der DOSB der Bewerbung Hamburgs für die Olympischen Sommerspiele 2024 den nationalen Zuschlag erteilte. Das Netzwerk kritisiert die angebliche Geldverbrennungsmaschine Olympia und unterstützt eine Volksinitiative gegen den »Olympia-Wahnsinn«.
Die Initiatoren von NOlympia befürchten, dass durch das vom rot-grünen Senat, der Handelskammer, dem Otto-Konzern und umstrittenen Unternehmen wie Albert Speer & Partner GmbH - es hat acht Stadien für die skandalumwitterte Fußball-WM in Katar entworfen −, vorangetriebene Mega-Sportevent eine »Turbo-Gentrifizierung« in der unter großer Wohnungsnot ächzenden Stadt einsetzen wird. »Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum. Stattdessen wird versucht, Gutverdienende in die Viertel zu holen. Geringverdiener werden in die Außenbezirke verdrängt«, sagt NOlympia-Sprecher Michael Rothschuh.
In den vergangenen Monaten schien das Ja zu Olympia so gut wie beschlossen. Die Antiolympia-Bewegung zeigte nur wenig Präsenz. Das Protestpotenzial in Hamburg war und ist derzeit stark in die Solidaritätsarbeit für eintreffende Flüchtlinge eingebunden. Im September sprach sich laut einer Forsa-Erhebung noch eine klare Mehrheit von 63 Prozent der Hanseaten für die Spiele aus.
Aber kurz vor dem Ende des Bürgerreferendums, dessen Ergebnis am 29. November verkündet werden soll, haben die Olympiagegner noch einmal kräftig mobilisiert. Nicht nur die mehr als 600 St. Pauli-Fanclubs haben sich gegen die Spiele positioniert. Auch 20 Professoren und Wissenschaftler aus der Stadt-, Umwelt- und Sicherheitsforschung sowie der Zukunftsrat, die Umweltverbände BUND und Hamburg für die Elbe empfehlen den Hanseaten, mit Nein zu stimmen. »Die Verschärfung der sozialen Spaltung in der Stadt und die Einschränkung der demokratischen Grundrechte durch die Vorgaben des IOC tragen wir nicht mit«, erklärte Sabine Kümmerle, Geschäftsführerin des Wohlfahrtsverbandes »Sozial & Alternativ« mit seinen mehr als 200 Mitgliedseinrichtungen.
Selbst aus dem Lager der Befürworter ist Skepsis zu vernehmen: Bis zu 1,5 Milliarden Euro würde allein die Verlagerung der Betriebe kosten, die der Errichtung der Olympia-Sportstätten am Hafenrand weichen müssten, rechnete Gunther Bonz, Präsident des Unternehmerverbands Hafen Hamburg, einen Posten des enormen finanziellen Risikos vor.
Und so nimmt die Olympia-Begeisterung spürbar ab. Nur noch 56 Prozent der Hamburger befürworten die Spiele, ergab die jüngste Umfrage, die kurz vor den Anschlägen von Paris durchgeführt wurde. Der prognostizierte Ausbau der Stadt zu einer Hochsicherheitsfestung könnte »Feuer und Flamme für Olympia« doch noch zum Erlöschen bringen.
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