Traumatisiert bis zum heutigen Tag
Zwei Wachleute wurden freigesprochen, einen Asylbewerber misshandelt zu haben
Aussage steht gegen Aussage. Angeklagt der schweren Körperverletzung sind zwei Sicherheitsleute. Die beiden 34 und 42 Jahre alten Männer sollen laut Anklage am 10. Oktober 2013 um 9.29 Uhr am LAGeSo einen afghanischen Flüchtling brutal attackiert haben. Nach einer verbalen Auseinandersetzung vor dem Haus A in der Turmstraße sei das Opfer erst zusammengeschlagen, gefesselt und dann in den Innenraum geschleppt worden. Der Niedergeschlagene habe dabei ein Schädelhirntrauma und zahlreiche Prellungen erlitten, hieß es am Donnerstag.
Über zwei Jahre später sehen sich die drei Beteiligten nun vor Gericht wieder. Das Opfer Hussein M. ein schmächtiger 34-Jähriger, offensichtlich vom Geschehen damals und vom aktuellen Leben traumatisiert und die beiden Wachschützer, von kräftiger Gestalt und gut vorbereitet für eine Aussage vor Gericht. Die Angeklagten schildern den Fall so: Der Mann habe einen Termin beim LAGeSo gehabt, sei aber viel zu früh erschienen. Das Opfer spricht Dari, also Persisch und die Sicherheitsleute Deutsch und Türkisch. Eine Verständigung war so kaum möglich. Er habe nicht begriffen, warum er nicht hereingelassen wurde, während andere mit einem späteren Anmeldungstermin schon reindurften. Deshalb kam es zum Streit, sagen die Wachleute übereinstimmend. Dann aber habe das spätere Opfer plötzlich einen Wachmann angegriffen. Der habe nur zurückgeschlagen und zusammen mit dem anderen Wachmann den Mann unsanft zu Boden gebracht. Sie hätten den Afghanen dann nach drinnen geführt und die Polizei alarmiert. Gefesselt hätten sie ihn nicht.
Das Opfer Hussein M. schildert den Ausgangspunkt ähnlich. Um 12 Uhr habe er einen Termin gehabt, doch habe er sich schon früher in die Schlange eingereiht, weil er schon öfter da gewesen sei und viele Stunden hätte warten müssen. Diesmal wollte er es richtig machen und rechtzeitig da sein. Er habe nicht begriffen, warum andere vorgelassen wurden, die erst viel später einen Termin hatten. »Mehrmals habe ich versucht, mit den Sicherheitsleuten zu reden«, sagt Hussein M. Vergeblich. Der Streit sei laut und gewaltfrei gewesen. Als er schon am Gehen war, spürte er plötzlich einen harten Schlag von hinten gegen seinen Kopf. Er stürzte zu Boden und wurde dann, auf dem Bauch liegend gefesselt, getreten und nach innen gezerrt. Später habe man ihn auf einen Stuhl gesetzt. Fast ohnmächtig fiel er zu Boden, bis die Polizei kam. Die brachte ihn ins Krankenhaus. Seit diesem Tag sei er zu normalen Alltagsdingen unfähig, den Deutschkurs habe er abgebrochen. Er fühle sich wertlos, weil er der Familie kein richtiger Ehemann und Vater sein kann. Er habe schon mit dem Gedanken gespielt, aus dem Leben zu scheiden, so habe ihn der Vorfall mitgenommen.
Ein weiterer Zeuge bestätigte dem Gericht, dass Hussein M. gefesselt auf dem Boden lag. Insofern haben die Sicherheitsleute die Unwahrheit gesagt. Hussein M., der Landarbeiter aus Afghanistan, macht ungenaue Angaben. Er versteht vieles von dem nicht, was im Gerichtssaal passiert. Alles ist zu viel für ihn. Vor den Taliban geflüchtet, muss er nun mit dem Dschungel des bürokratischen Alltags in Berlin klarkommen.
In der Turmstraße spielen sich täglich dramatische Szenen ab, hier die Übersicht zu bewahren, erfordert von allen Beteiligten ein hohes Maß an Übersicht. Die Sicherheitsleute brauchen Kraft für brenzlige Situationen. Vor allem aber Einfühlungsvermögen und Verstand. Die Ordnungskräfte müssen, bevor sie ihre Muskeln spielen lassen, begreifen, dass es sich bei den Wartenden vor dem LAGeSo nicht um eine Schlange auf Schnäppchenjagd handelt. Und eines muss klar sein: Schlagen geht gar nicht. Am späten Nachmittag wurden die Wachleute vom Gericht freigesprochen.
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