Die Überheblichkeit des Fußballkommentators
Fabian Köhler über nicht durchdachte Islam-Kritik
Erinnern Sie sich an den Sexismus-Skandal beim belgischen FC Antwerpen? Nein? So richtig skandalös fand es eigentlich auch niemand, als der Fußball-Zweitligist zu Werbezwecken auf nackte Frauen-Hintern schießen ließ. Von einer »sexy Strafstoß-Variante« schrieb FOCUS Online. Die Hamburger Morgenpost berichtete über das »Schuss-Training auf sexy Frauenhintern.« Viel mehr Beiträge gibt es nicht über den fast ein Jahr alten Vorfall. Gar keine Kommentare findet man, die den frauenfeindlichen Ausfall einer ganzen Fußballmannschaft mit dem Glauben der Spieler in Zusammenhang bringen. Dabei spielen gleich mehrere Katholiken beim FC Antwerpen. Andere Spieler sind Atheisten. Als eine frauenverachtende Mischung aus römisch-katholischen Chauvinismus und gottlosem Werteverfall der westlichen Gesellschaft, könnte man die Truppe interpretieren.
Über einen anderen Fall las man in den vergangenen Wochen hingegen fast überall: Ein Spieler des niederländischen Erstligisten FC Utrecht hat einer TV-Moderatorin nach dem Spiel nicht die Hand gegeben. Anders als bei den Sexisten aus Belgien, erfährt man im Fall von Nacer Barazite die Religionszugehörigkeit und den vermeintlichen Grund für die Handschlagverweigerung in jedem dieser Texte: Er ist Muslim.
Auch in dieser Zeitung wird der Fall ausführlich kommentiert. Christoph Ruf, dessen wöchentliche Fußballkolumne ich abgesehen von diesem Beitrag wärmstens empfehlen kann, widmet sich dem »muslimischen Fußballprofi« und jenen Reaktionen, die er als »Rassismus der Wohlmeinenden« bezeichnet. Gemeint sind Journalisten, Fußball-Funktionäre und Politiker, die Barazite Handschlagsverweigerung »mit Respekt« begegnen. Diesen Respekt muss man nicht teilen, Rufs Kritik, der die Ursache im »Steinzeit-Islam« ausmacht, aber auch nicht.
Ein kurzer Crashkurs im muslimischen Händeschütteln, das mit dem »Steinzeit-Islam« ebenso wenig zu tun hat, wie mit dem der Bronze- oder Eisenzeit: Einige Rechtsgelehrte berufen sich auf das Körper-Kontakt-Verbot zwischen Unverheirateten im Koran oder verweisen auf einen Ausspruch Mohammads, der ebenfalls vor 1400 Jahren einer Frau nicht die Hand geben wollte. Andere erzählen das Gegenteil oder ihnen ist es völlig egal. Wie so oft in der Theologie.
Die meisten Muslime schütteln die Hände des anderen Geschlechts (die Handschlagsverweigerung kann genauso von Frauen wie von Männern ausgehen). Die meisten jener, die es nicht tun, dürfte von der Theologie dahinter keine Ahnung haben. Sie tun es, weil ihre Eltern es taten oder weil ihnen ihr Ehemann oder ihre Ehefrau sonst zu Hause die Hölle heiß macht. Der eine schüttelt Hände, weil es ihm irgendwann zu albern war, in der Clique der einzige Handschlagverweigerer zu sein. Die andere schüttelt sie nicht, weil sie sowieso schüchtern ist. Als »Verachtung« interpretiert Christoph Ruf das Verhalten Nacer Barazites. Barazites würde es wahrscheinlich wie viele andere Muslime als Ausdruck des »Respekts« bezeichnen. Gegegenüber dem unverheirateten Gegenüber, dem man körperlich nicht zu Nahe treten will und gegenüber dem eigenen Ehepartner.
Diese Interpretation muss man nicht teilen, aber man sollte sie zumindest diskutieren. Genauso wie das belgische Frauenhinternschießen wahrscheinlich von einigen als Ausdruck weiblicher Selbstbestimmung und nicht als Ausdruck männlicher Frauenverachtung interpretiert wird.
Aber selbst wenn man annimmt, dass alleinig islamisch rückständige Frauenverachtung Grund für den Nicht-Handschlag sein kann, fällt es schwer Rufs Empörung nachzuvollziehen: »Das muss man sich jetzt wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Der Club 'respektiert', dass zwei Profis 50 Prozent der Menschheit anders, nämlich abfällig, behandeln wollen«, schreibt er und tut so, als hätten erst Muslime den ansonsten so emanzipierten Männersport mit dem Virus des Sexismus infiziert.
Den muslimischen Nicht-Handschlag mag man schockierend finden. Dann aber doch bitte auch die ständigen von Weißbier begleiteten chauvinistischen Schenkelklopfer in der meist ausschließlich männlich besetzten TV-Expertenrunde nach dem Spiel. Aufregen sollte man sich auch dann, wenn der Stadionsprecher weibliche und männliche Fans mal wieder kollektiv als »Jungs« anspricht und diese die gegnerischen Spieler als »Fotzen« verhöhnen. Und auch dann, wenn es jeden Spieltag aufs Neue kein einziger TV-Sender schafft, eine Frau ein Fußballspiel kommentieren zu lassen (in 50 Jahren Bundesliga gab es bisher eine einzige, in Liga zwei). Es stimmt, im Fußball werden »50 Prozent der Menschheit anders, nämlich abfällig« behandelt. Aber leider nicht nur durch ein paar Muslime.
Würde man in Dutzenden Folgen von Rufs »Sonntagsschüssen« nicht eines besseren belehrt, man könnte meinen, er stamme selbst aus einer jener Fußball-Alt-Herrenrunden: Die Journalistin Hélène Hendrik hält er für eine weitere Vertreterin des »Rassismus der Wohlmeinenden«. Hendrik ist jene Reporterin, der Barazite seine Hand nicht geben wollte. Doch diese sieht zu Rufs Unverständnis in Barazites Verhalten nicht nur »kein Problem«, sondern halte ihn »im Übrigen für einen richtig netter Kerl«. »Kaum zu glauben«, echauffiert sich Ruf und wirft ihr und anderen eine »Herablassung« vor, »die darin besteht, die eigenen moralischen Maßstäbe dann nicht anzulegen, wenn sich Muslime so verhalten, wie man es einem Katholiken oder einem Atheisten aus gutem Grunde nicht durchgehen lassen würde.«
Vielleicht gibt es aber auch andere Erklärungen für Hendriks Reaktion als Rufs »Rassismus der Wohlmeinenden«. Vielleicht hat es sie wirklich nicht gestört. Vielleicht fürchtete sie die Kommentare ihrer männlichen Kollegen, sie solle sich doch mal nicht so anstellen. Vielleicht hat sie keine Lust, dass ihr beim nächsten Spiel muslimische, christliche und atheistische Sexisten »Zicke« und »Fotze« aus dem Fanblock entgegenrufen. Vielleicht hatte sie auch einfach keine Lust im Zentrum einer Sexismus-Debatte, für die sie nichts kann, mit altklugen Alt-Herren-Kommentaren konfrontiert zu werden. Ich weiß es nicht, und Christoph Ruf auch nicht.
Tatsächlich »Kaum zu glauben« ist hingegen, wie Ruf seinen Beitrag beendet. Zum Schluss wendet er sich doch noch einmal von den vermeintlichen Rassisten ab und dem eigentlichen Übel zu: Dem Muslim Barazite. Dem im niederländischen Arnhem am Niederrhein geborenen Barazite rät Ruf, entweder Frauen die Hand zu geben oder das Land zu verlassen. »Geh zurück, wo du herkommst« lautet das aus Fußballstadien nur allzu bekannte Pendant, das schwarze Spieler oft in Kombination mit Bananenwürfen über sich ergehen lassen müssen. In letzter Zeit wurden solche echten Rassisten zum Glück meist schnell verabschiedet. Nicht mit Handschlag, sondern mit lebenslangem Stadionverbot.
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