Kämpfe gegen die Restauration

»Marx’ Gespenster« im HAU will neue Denkweisen und Handlungshorizonte eröffnen

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Festival »Marx' Gespenster« im Berliner HAU verspricht über das Marx-Schnipsel-Geschnatter hinauszugehen. Mit kritisch nachfragenden Positionen setzt es sich ab von der Modewelle, die den Kunstbetrieb erfasst hat.

Aus Rückblicken kann man etwas lernen. »Ich wollte Revolution machen, er sein Südafrika befreien. Das passte zusammen wie die Faust aufs Auge«, sagt eine Protagonistin im Film »marxism today (prologue)« des britischen Künstlers Phil Collins. Dieser wird im Rahmen des Festivals »Marx’ Gespenster« in einer Installation gezeigt. Derart pragmatisch wie bei dieser früheren Lehrerin für Marxismus-Leninismus, die der mittlerweile in Berlin lebende Videomacher und Installationskünstler vor fünf Jahren interviewte, stoßen Weltgeschichte und Privatleben selten zusammen. Damals, als die Finanzkrise von 2008 noch nicht all zu lange her und Marx’ Schriften ein Comeback feierten, machte sich Collins auf die Suche nach denen, die einst professionell den Marxismus gelehrt hatten. Er traf die früheren ML-Lehrerinnen der DDR in anderen Branchen - als Sozialarbeiterin oder Leiterin einer Partnervermittlungsagentur. Er erkundete nicht nur ihre einstigen Lehrmethodiken, sondern auch, wie sie ihr Wissen über die Funktionsweise des Kapitalismus anwendeten. Zum Teil waren sie durchaus erfolgreich, sparen aber nicht mit Kritik an der recht simplen Struktur der Konsumgesellschaft. Collins wählte einen unkonventionellen Zugang zum Marxismus, weil er die seit der Finanzkrise wieder stärker goutierten Marxschen Gedanken auch mit der weiterhin diskreditierten realsozialistischen Praxis verbindet.

Dem Spannungsverhältnis von als richtig erkannter Theorie und dennoch scheiterndem eigenem Leben nimmt sich die niederländische Truppe Stan & de Koe mit »The Marx Sisters« (16.-18.11.) an. Sie richtet den Blick auf die Marx-Töchter Eleanor und Laura, die beide relativ werk- und ideologie-treu agierten, ihr Privatleben aber nicht recht mit den revolutionären Bestrebungen harmonisieren konnten. Sie begingen Selbstmord.

Mit diesen kritisch nachfragenden Positionen setzt sich das Festival angenehm ab von der Marx-Modewelle, die den Kunstbetrieb seit ein paar Jahren erfasst hat. Kein Konzeptkünstler, kein Theaterfestival scheint ohne Verweis auf Marx mehr auskommen zu können. Es ist zwar schön, dass das nur halb verstandene Poststrukturalismus-Geschwurbel mittlerweile abgeebbt ist, das an seine Stelle getretene Marx-Schnipsel-Geschnatter ist aber auch nicht immer gut erträglich.

»Marx’ Gespenster« verspricht jedoch, darüber hinauszugehen. Beleg dafür ist auch die Ernsthaftigkeit, mit der sich Sylvain Creuzevault in die Zusammenhänge, die Marx’ Schreiben elementar beeinflussten, hineinbegibt. In »Das Kapital und sein Affe« (12.-13.11.) versammelt der französische Regisseur eine illustre Truppe um Auguste Blanqui, einen Geheimbündler und Mitorganisator der Aufstände 1839, 1848 und 1870. Diese diskutiert über so scheußliche Arbeitsbedingungen, die nur durch einen Aufruhr zu verändern sind. Creuzevault lässt seine Protagonisten Vorab-Analysen des »Kapital« betreiben; Marx’ Hauptwerk erschien erst zwei Jahrzehnte später. Im lesenswerten Interview im Programmheft des Festivals macht Creuzevault auf restaurative Parallelen zwischen der »konservativ-monarchistischen Ordnungsmacht im 19. Jahrhundert« und dem aktuellen Stabilitäts- und Sicherheitsdenken, das gesellschaftliche Entwicklung lähmt, aufmerksam.

Das sind alles zunächst Bestandsaufnahmen und noch keine Lösungen. Es macht aber durchaus den Reiz des Festivals aus, dass es sich der Lösungsillusion verweigert. »Wir wollen nicht einfache Lösungen anbieten. Kapitalismus ist ja gerade darin gut, für jedes Problem die angeblich passende Lösung zu haben. Wir wollen erst mal sehen, was überhaupt los ist«, kündigt HAU-Kuratorin Aenne Quinones so entspannt wie entschlossen an.

Teil der Bestandsaufnahme sind auch Reflexionen über künstlerische Produktionsbedingungen, wie sie das Diskurs-Entertainment-Traumpaar Fabian Hinrichs und Schorsch Kamerun in »Ich habe um Hilfe gerufen. Es kamen Tierschreie zurück« anstellt (14. und 16.11.). Mit dem Menschen- und Künstlerbild der sowjetrussischen Filmavantgarde der 1920er Jahre setzt sich der Filmemacher Max Linz auseinander (»Ultra High Definition Kinoki«, 13.11.).

Die Potenziale von »echter« und »realer« Demokratie klopfen hingegen der kroatische Philosoph Srecko Horvath und die feministische Benediktinernonne Teresa Forcades i Vila ab (15.11.) Ob neuere technologische Partizipationstools der Demokratie tatsächlich weiterhelfen können und Kryptowährungen eine Alternative zum globalen Finanzsystem sind, ist Thema einer Lectureperformance von Nathan Fain und Maria Rößler (21.-22.11.). Da droht dann doch wieder die Lösungsillusion die Gemeinde zu benebeln. Insgesamt macht aber die Vielfalt der Zugänge neugierig auf »Marx’ Gespenster«.

12.-22.11., HAU1, HAU2, HAU3, Eintritt 8-30, erm. 5-10 Euro, Festivalpass 35, erm. 25 Euro

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