Katastrophales EU-Zeugnis für für die Türkei
Neuer Beitrittsbericht / Auch Brüssel in der Kritik
Die Reaktion aus Ankara kam prompt. Die Kritik der EU-Kommission am Stand der Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit im Land seien ungerecht und unangemessen, die Kommentare zu den Machtbefugnissen von Präsident Recep Tayyip Erdogan »inakzeptabel«. Der am Dienstag in Brüssel vorgelegte neue Fortschrittsbericht zum EU-Beitrittskandidaten Türkei wird in der dortigen Regierung mit Sicherheit keine Lieblingslektüre, attestiert Erweiterungskommissar Johannes Hahn dem Anwärter doch einen »negativen Trend« beim Respekt grundlegender Bürgerrechte.
Beide Seiten verhandeln seit Ende 2005 über einen Beitritt, die Gespräche stecken aber schon lange fest. Bislang wurde erst eines von 35 Verhandlungskapiteln abgeschlossen. Auch über das vergangene Jahr hinweg habe es »bedeutende Mängel« bei der Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Meinungs- und Versammlungsfreiheit gegeben. Hahn kritisierte »steigenden Druck und Einschüchterung von Journalisten und Medienfirmen« ebenso wie das neue Internet-Gesetz, das die Sperrung bestimmter Inhalte erlaubt. Solche Gesetze »laufen europäischen Standards zuwider«.
Er lobte die Türkei aber auch für ihr Engagement in der Flüchtlingsfrage und die Aufnahme von mehr als zwei Millionen Menschen aus Syrien und Irak.
Die EU-Kommission wiederum musste nicht nur Kritik aus Ankara einstecken. Sie war schon unter Druck geraten, weil sie den Bericht nicht mehr vor der Parlamentswahl vor gut einer Woche veröffentlicht hat, was als Wahlhilfe für die dann auch siegende islamisch-konservative AKP gewertet wurde - um so ein Entgegenkommen in der Flüchtlingspolitik zu erkaufen. »Unverantwortlich« nannte das gestern die Vorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms. Sevim Dagdelen, Sprecherin für internationale Beziehungen der Fraktion DIE LINKE, forderte angesichts der autoritären Politik Erdogans endlich Konsequenzen von der Bundesregierung. Jetzt weitere Beitrittskapitel zu verhandeln, komme einem Rechtsbruch gleich, so die Vize-Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe.
Neben dem Türkei-Bericht stellte EU-Kommissar Hahn am Dienstag auch Bestandsaufnahmen zu den Reformprozessen in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Mazedonien und Kosovo vor.
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