Arbeitsmarktgesetz schafft Schlupflöcher
Französische Regierung will mit neuem Regelwerk Unternehmen und Gewerkschaften gleichzeitig zufriedenstellen
Lange verhandelten in Frankreich Gewerkschaften und Unternehmerverbände über neue Regeln für den Arbeitsmarkt - und scheiterten nun endgültig. Die Regierung hatte zuvor damit gedroht, die Verhandlungspartner gesetzlich zu einem einvernehmlichen Miteinander zu zwingen, damit ist sie nun in Zugzwang. Doch der Gesetzentwurf, den sie vergangene Woche tatsächlich verabschiedet hat und vor Jahresende dem Parlament unterbreiten wird, stellt niemanden zufrieden und lässt alle wesentlichen Fragen offen. Während die Gewerkschaften keine Abstriche an den über Jahrzehnte erkämpften Rechten und sozialen Errungenschaften zulassen wollen, fordern die Unternehmerverbände, das sehr umfangreiche und komplexe Arbeitsrecht radikal zu vereinfachen. Sie wollen vor allem Flexibilität bei den Arbeitsverträgen und den -zeiten, um sich besser auf schwankende Auftragslagen einstellen zu können.
Die Regierung von François Hollande versichert, dass mit ihrem Kompromissvorschlag sowohl mehr Flexibilität geschaffen als auch die Rechte der Arbeitnehmer gewahrt würden. Als unverhandelbare Grundrechte werden die 35-Stunden-Arbeitswoche, der Mindestlohn und der unbefristete Arbeitsvertrag bezeichnet - seit Jahren drei rote Tücher für die Unternehmerverbände. Das Gesetz der Regierung öffnet nun Lücken, durch die diese Grundrechte nach und nach ausgehöhlt werden können.
Eine größere Rolle bekommen etwa die Verhandlungen zwischen Unternehmensdirektionen und den Betriebsräten über Betriebsvereinbarungen. In diesen kann festgelegt werden, dass die Beschäftigten länger als 35 Wochenstunden arbeiten und dafür mehr Lohn erhalten oder dass die Direktion dafür befristet auf Entlassungen verzichtet. Solche Erpressungen haben verschiedentlich schon funktioniert, etwa bei Bosch France. Vor allem kann die Jahresarbeitszeit entsprechend saisonalen Anforderungen oder der Auftragslage aufgeteilt werden, so dass in manchen Wochen bis zu 40 Stunden oder am Wochenende gearbeitet werden kann und in anderen Wochen weniger.
Während der Mindestlohn nicht umgangen werden kann, weil auch Teilzeitkräfte Anspruch darauf haben, ist der unbefristete Arbeitsvertrag ein frommer Wunsch. In der Praxis erfolgen Neueinstellungen zu mehr als 80 Prozent nur noch befristet, daran wird das Gesetz nichts ändern. Ein weiterer Teilsieg für die Unternehmer ist die Regel über die Repräsentativität der Arbeitnehmervertretungen. Demnach können Betriebsverträge schon in Kraft treten, wenn nur mehrere Minderheitsgewerkschaften unterschreiben, während die großen Gewerkschaften wie CGT, FO oder SUD dagegen sind. Die konnten bisher in auf nationaler Ebene ausgehandelten Branchenverträgen deutlich mehr Rechte für Beschäftigte durchsetzen. Das wird künftig auch dadurch erschwert, dass das Gesetz »im Interesse einer Vereinfachung des sozialen Dialogs« die Zahl der Branchen von 700 auf 200 verringert.
Alles Flickwerk, sagen Kritiker. Die Regierung kündigte zwar eine grundlegende Neufassung des Arbeitsrechts ab 2018 an, damit stiehlt sie sich aber aus der Verantwortung: 2017 werden Parlament und Präsident neu gewählt. Ob es dann weiter eine Linksregierung gibt, ist fraglich.
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