»Feuer unterm Arsch«
LINKE-Landesvorsitzender Görke fordert von seiner Partei klarere Konturen - auch zur SPD
Die LINKE hält es sich selbst zugute und auch Beobachter haben ihr schon bescheinigt: Seit der Schlappe bei der Landtagswahl 2014 bemüht sich der Landesverband Brandenburg, sein Profil in der rot-roten Koalition zu schärfen, um nicht mehr als jederzeit willfähriger Partner der SPD zu gelten. Seit dem Start von Rot-Rot im Jahr 2009 fand jedoch nie zuvor ein Landesvorsitzender so deutliche Worte, wie am Sonnabend Christian Görke beim Landesparteitag im Kongresshotel Potsdam. Er sagte zu den Delegierten: »Hören wir doch endlich auf, bei jedem Vorhaben zunächst einmal darüber nachzudenken, ob die SPD da mitmacht.«
Görke ermunterte, offen über die elternbeitragsfreie Kita zu reden, und er verlangte den Einstieg in die Gemeinschaftsschule. Er wisse, dass Bildungsminister Günter Baaske (SPD) das nicht gerne höre, doch im Koalitionsvertrag stehe schließlich, dass gemeinsames Lernen aller Kinder von der 1. Klasse bis zum Schulabschluss möglich sein solle. Natürlich sei dies ein grundlegender Politikwechsel und dies schmecke der SPD nicht. »Aber mir schmecken einige Ideen der SPD auch nicht«, bekannte Görke.
Er sagte auch: »Wir müssen für unsere Projekte kämpfen und nicht für die der SPD.« Wenn die SPD die Kreisgebietsreform wolle, müsse sie selbst dafür eintreten. Bisher ducke sie sich weg und lasse die LINKE die Prügel einstecken. Wenn Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) meine, er habe es mit Leichtmatrosen zu tun, dann solle er allein zur See fahren, schimpfte Görke. Er reagierte damit auf Schröter, der ihn via »Bild«-Zeitung als einen »Leichtmatrosen« bezeichnet hatte, »der bei schwieriger See den Kurs wechselt« – weil Görke die momentan nicht ausgeschlossene Zerteilung bestehender Landkreise öffentlich abgelehnt hatte.
Görke widmete sich noch einmal der Wahlschlappe vom September 2014, denn bei dem zweitägigen Parteitag ging es auch darum, Schlussfolgerungen zu ziehen, den Kurs bis zur Landtagswahl 2019 noch einmal genau festzulegen. Der Leitantrag wurde zu diesem Zweck in fünf Foren diskutiert. Dort wurde beispielsweise über das Profil der Partei geredet, über Chancengerechtigkeit in der Bildung, über Langzeitarbeitslosigkeit und Asylpolitik. Nicht ganz überraschend kamen die Flüchtlingsunterbringung und die gefährliche Hetze gegen Asylbewerber nicht nur in dem einen dafür eingerichteten Forum zur Sprache. Einige Bürger haben den Eindruck, die LINKE setze sich nur für Flüchtlinge ein, berichtete der junge Genosse Martin Günther. Natürlich engagiere sich die Partei für die Flüchtlinge, weil die Menschlichkeit dies gebiete. Aber die anderen Aufgaben bleiben deswegen nicht liegen, auch wenn dies vielleicht so wirke, versicherte Günther.
Landesgeschäftsführerin Andrea Johlige mahnte: »Wir müssen deutlich machen, dass wir als LINKE nicht zulassen werden, dass die Schwächsten dieser Gesellschaft gegeneinander ausgespielt werden.« Sie riet, die Chancen deutlich zu machen. »Dazu gehört, dass wir sagen, dass die Buslinie sich wieder lohnt, wenn 50 Menschen zusätzlich im Ort leben, die kein Auto haben.«
Der Parteitag entschied, keine Verschlechterung der Standards für die Unterbringung der Flüchtlinge zuzulassen. Das Argument, vordringlich sei angesichts des heraufziehenden Winters doch, den Menschen überhaupt ein Dach über dem Kopf zu geben, überzeugte die Mehrheit der Delegierten nicht.
Der Antrag, auch in Brandenburg einen NSU-Untersuchungsausschuss einzurichten, wurde während des Parteitags durch einen anderen Text ersetzt. Beschlossen wurde eine Fassung, in der es heißt: Sollte ein Untersuchungsausschuss mit dem Koalitionspartner SPD nicht durchsetzbar sein, fordere die LINKE als Alternative »Aufklärung durch eine wissenschaftliche Aufarbeitungskommission«.
Die LINKE war bei der Landtagswahl 2014 von 27,2 auf 18,6 Prozent abgestürzt. Görke nannte ironisch sechs Phasen: »Begeisterung, Verwirrung, Ernüchterung, Suche nach den Schuldigen, Bestrafung der Unschuldigen, Auszeichnung der Nichtbeteiligten.« Begeisterung habe Anfang 2014 genau hier im Kongresshotel geherrscht, als die LINKE ihre Kandidaten für die Landtagswahl nominierte, erinnerte Görke. Verwirrt sei die Partei dann wegen der mäßigen Umfragewerte gewesen und ernüchtert über das noch schlechtere Wahlergebnis. Noch immer befinde man sich in der Phase der Ernüchterung. Doch Schuldige suchen, Unschuldige bestrafen und Nichtbeteiligte auszeichnen, dies könne man lassen, fand Görke. Denn das bringe die Partei und vor allem Brandenburg nicht weiter – und darum gehe es doch, das Land sozialer und gerechter zu machen. Görke empfahl, lieber dreimal über die soziale Frage zu diskutieren als einmal über die Energiepolitik. Innerparteiliche Formelkompromisse über den Ausstieg aus der Braunkohle oder zum bedingungslosen Grundeinkommen würden nicht helfen. Man müsse den Mut haben, klare Positionen zu formulieren.
»Lösen wir uns endlich von der Frage, ob uns dieses oder jenes Projekt bei der nächsten Wahl Stimmen kostet. Die Partei muss klar sein in den Konturen, dann wird sie auch beim nächsten Mal angekreuzt«, äußerte Görke. Die jungen Genossen bat er: »Mischt euch ein, macht uns alten Feuer unterm Arsch und lehrt diese Ellenbogengesellschaft das Fürchten.« Denen, die mit Ideen kommen, sollte nicht erklärt werden, warum es nicht geht. »Hören wir auf, manchmal so hölzern zu sein.« Charme, Witz und Ironie wären besser.
Das bewies dann später Renate Vehlow, die zum Gaudi der Delegierten auf der Bühne ein Rad schlug und auf donnernden Applaus hin auch noch ein zweites Rad, bevor sie ans Rednerpult trat.
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