Neuer Eigentümer, doppelte Miete
Bewohner von Sozialwohnungen in Wedding werden zur Kasse gebeten
Seit 24 Jahren wohnt Melike Canan Delipalta in dem Komplex Koloniestraße/Ecke Badstraße in Wedding. Doch jetzt wird es eng für die Studentin, ihre drei Schwestern und die Mutter, die eine kleine Rente bezieht: Statt bisher 960 Euro sollen sie ab 1. Dezember 1500 Euro Miete für ihre 95 Quadratmeter große Wohnung bezahlen. Das entspricht einer Verdoppelung der Kaltmiete auf zwölf Euro pro Quadratmeter. »Das kann sich bei uns kaum jemand leisten, die ersten Mieter sind schon ausgezogen«, sagt Delipalta.
Es geht um 157 Wohnungen, die Anfang der 90er Jahre im sozialen Wohnungsbau errichtet wurden. Die Anlage gehört zu jenen 28 000 Wohnungen, für die der Senat nach Ablauf der 15-jährigen Mietsubventionen keine sogenannte Anschlussförderung mehr zahlt. Für sie dürfen die Vermieter sogar die vollen Kosten verlangen, die beim Bau der Wohnungen entstanden sind. Diese Kostenmieten betragen bis zu 21 Euro pro Quadratmeter. Bisher wurden sie vom Senat heruntersubventioniert, so dass sie für die Sozialmieter halbwegs bezahlbar wurden.
Besonders absurd, dass beim Verkauf der Wohnungen die neuen Erwerber diese Kostenmiete ebenfalls in Rechnung stellen können. So geschehen im Kreuzberger Fanny-Hensel-Kiez, wo der neue Eigentümer die Wohnungen für drei Millionen Euro erwarb, aber die Miete auf der ursprünglichen Basis von acht Millionen Euro berechnen konnte. Und jetzt in der Koloniestraße. Dort musste der einstige Eigentümer 2010 Insolvenz anmelden, die Anlage wurde verkauft. Sebastian Jung vom Netzwerk mieterstadt.de geht davon aus, dass die Anlage für zehn Millionen Euro den Besitzer wechselte. »Das entspricht lediglich etwa einem Drittel der Kosten für ihre Errichtung.« Trotzdem nehme die neue Vermieterin diese hohen Erstellungskosten jetzt zur Grundlage für die Mietenberechnung. »Sie macht also gegenüber den Mietern Kosten geltend, die sie selbst niemals hatte«, sagt Jung. Entsprechend hoch dürfte die Rendite sein.
Die Vermieter können sich bei der Mietenberechnung auf den sogenannten Einfrierungsgrundsatz berufen, der die Kosten für die Dauer der Sozialbindung festschreibt. Dieses Prinzip sollte die Mieter eigentlich vor steigenden Kosten schützen, jetzt bewirkt es das Gegenteil.
Das neue »Wohnraumversorgungsgesetz«, das der Senat auf Druck der Initiative Mietenvolksentscheid erarbeitet hat und das in der kommenden Woche vom Abgeordnetenhaus verabschiedet werden soll, dürfte den betroffenen Mietern in der Koloniestraße oder im Fanny-Hensel-Kiez nur teilweise Entlastung verschaffen. Es sieht zwar vor, dass die Mieter in Sozialwohnungen nicht mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Miete bezahlen sollen, was darüber liegt, wird vom Land übernommen. Doch bei maximal 2,50 Euro pro Quadratmeter Zuschuss aus der Landeskasse ist Schluss. Damit müssten Melike Canan Delipalta und die anderen Mieter immer noch eine Mieterhöhung von 3,50 Euro pro Quadratmeter selber schultern. Immer noch eine Größenordnung, die die meisten überfordern dürfte.
Die Grünen wollen deshalb den Gesetzentwurf nachbessern. Das Kostenmietensystem müsse grundsätzlich überprüft werden, fordern ihre Mieten- und Bauexperten Katrin Schmidberger und Andreas Otto. Der Einfrierungsgrundsatz im sozialen Wohnungsbau müsse aufgegeben werden und stattdessen eine sogenannte Richtsatzmiete eingeführt werden, die unter der ortsüblichen Vergleichsmiete von derzeit 5,84 Euro je Quadratmeter liegt. Damit würden auch die Eigentümer an der Finanzierung der Sozialmieten beteiligt. Dass dies möglich ist, bestätigt ein in ihrem Auftrag erstelltes Gutachten des Rechtsprofessors Martin Schwab: »Kosten, die der Eigentümer nicht hat, darf er nicht weitergeben«, so Schwab.
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