Skepsis in Balkanstaaten

  • Thomas Roser, Belgrad
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Umsetzung des EU-Aktionsplans gegen das Flüchtlingschaos in den Transitstaaten werden in den betroffenen Ländern schlechte Chancen eingeräumt.

Schnelle Resultate vermag der hastig gezimmerte Aktionsplan nicht zu liefern. Auch einen Tag, nachdem sich die Regierungschefs der Länder auf der sogenannten Balkanroute bei ihrem Treffen in Brüssel auf die Beendigung der Politik des Durchwinkens der Flüchtlinge verpflichteten, wurden an allen Grenzen anhaltend hohe Ankunftszahlen gemeldet. Allein bis zum frühen Nachmittag gelangten am Montag rund 6000 Flüchtlinge bei Rigonce über Kroatiens grüne Grenze nach Slowenien.

Als »Baustein« für eine Lösung der Flüchtlingskrise bezeichnete die Bundeskanzlerin Angela Merkel den auf Druck der EU-Kommission beschlossenen 17-Punkte-Plan. Bei den osteuropäischen Partnern herrscht dagegen weiter Skepsis. Der Sondergipfel habe »keinerlei Bewegung« gebracht, konstatierte am Montag die slowenische Zeitung »Delo«: »Die Beschlüsse und scheinbaren Lösungen sind weit von einer Umsetzung entfernt.« Die Entsendung von Frontex-Beamten an die Grenze zu Serbien müsste »theoretisch« den Einreisefluss verlangsamen, erklärte zu Wochenbeginn wenig überzeugt Kroatiens Premier Zoran Milanovic: »Wenn es so sein sollte, ist das gut. Wenn nicht, kontrollieren wir die Situation solange, wie diese Geschichte andauert.«

Gegenüber dieser Zeitung äußerten sich auch Sprecher von Hilfsorganisationen pessimistisch über die Realisierungschancen des vereinbarten Maßnahmenpakets. Positiv sei nur der Versuch einer Verständigung der Anrainer, so Rados Djurovic, Direktor des Belgrader Zentrums für Asylsuchende. »Doch der Aktionsplan ist völlig unrealistisch und wird in der Region nur für größere Probleme sorgen«, schätzt Djurovic. Den derzeitigen Andrang könne ein Staat wie Serbien nur bewältigen, »weil die Menschen eben nur einen Tag im Lande verbleiben«. Für Djurovic birgt die angestrebte Schaffung von 50 000 Aufnahmeplätzen in der Region keine Lösung. »50 000 Leute gehen in einer Woche durch - dann wären die Plätze voll. Und was soll dann mit den Neuankömmlingen passieren? Ich fürchte, dass man sie verstärkt sich selbst überlässt, sie in die Illegalität drückt und auf eigene Faust durch die Transitländer ziehen lässt. Verstärkte Spannungen in der Region auf Kosten der Flüchtlinge sind dabei absehbar.«

Von einem »unfairen Druck« der EU auf die Westbalkanstaaten, spricht Jasmin Redzepi, Sprecher der Flüchtlingshilfsorganisation »Legis« in Skopje. Mazedonien verfüge derzeit über Aufnahmelager mit 400 und Durchgangslager mit 1500 Plätzen, in denen ein längerer Aufenthalt aber kaum möglich sei: »Keiner der Flüchtlinge will in einem Nicht-EU-Land verbleiben - und könnte dort nur mit Gewalt gehalten werden.«

Der Flüchtlingsandrang lasse sich nicht auf die Transitstaaten abwälzen, sondern nur in den Herkunftsländern, der Türkei und den Zielländern wirksam angehen, ist Djurovic überzeugt: »Die EU-Staaten, die bisher kaum betroffen sind, wie Frankreich, Großbritannien oder Benelux, müssten zur Entlastung von Deutschland stärker in die Pflicht genommen werden - nicht mit schnell überholten Aufnahmezahlen, sondern mit Aufnahmequoten.«

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