Pegida vertritt auch in Dresden nicht die Mehrheit
Aufgeschlossenheit für Asylsuchende findet sich doppelt so häufig in der Bevölkerung wie Feindseligkeit
Ist Dresden eine besonders rassistische Stadt? Die Frage wird in den Medien und der überregionalen Öffentlichkeit diskutiert, seit sich Pegida im Elbtal vor einem Jahr festgesetzt hat und enormen Zuspruch verzeichnet – während die rassistische Initiative mit allen Versuchen, andere Städte zu erobern, gescheitert ist. Zugleich ist die Frage nach dem »braunen Potenzial« in Sachsens Landeshauptstadt nicht neu, sagt Grit Hanneforth vom Kulturbüro Sachsen: Schon die riesigen Naziaufmärsche zum 13. Februar und die zehnjährige Landtagspräsenz der NPD ließen den Eindruck entstehen, die Stadt habe einen Rechtsdrall.
Eine Studie von Soziologen der TU Dresden zeigt jetzt zumindest, dass Pegida, anders als die Anhänger glauben, nicht die Meinung der Mehrheit in Dresden vertritt. Zwar ist die Stadt beim Thema Asyl gespalten, sagt Stefan Fehser vom Lehrstuhl für empirische Sozialforschung. Mit 40,2 Prozent sei das Lager jener, die Sympathie für Asylsuchende hegten, jedoch doppelt so stark wie das der Befragten, die Feindlichkeit für diese empfänden. Gefragt worden war etwa, ob Asylbewerber als Bedrohung für die eigene Kultur empfunden würden, ob strengere Regeln für Zuwanderung nötig seien und ob die Ansicht geteilt werde, die Zuwanderer wollten den Sozialstaat ausnutzen. Auch die Haltung zu Flüchtlingswohnheimen in der Nachbarschaft wurde erfragt. 52 Prozent hätten nichts einzuwenden. »Wenn sich die Asylgegner in Dresden in der Mehrheit sehen«, sagt Fehser, »ist das eine Fehleinschätzung.«
Der Soziologe weist jedoch darauf hin, dass es eine recht große »unentschlossene Mitte« gibt, die dem Thema ambivalent gegenüber stehen. Ihr Anteil liegt bei 39 Prozent. Es sei »unklar, wohin diese Gruppe tendieren wird«, sagt Fehser und rief Politik und Zivilgesellschaft zu verstärkten Mühen auf: »Sie gilt es zu erreichen.«
Die Daten, für die 421 Telefoninterviews in der Zeit seit Oktober 2014 geführt wurden, scheinen Skepsis zunächst zu widerlegen. Nabil Yacoub, der langjährige Chef des Ausländerrates, merkt mit Hinweis auf die asylfeindlichen 20,4 Prozent aber an, dass »ein Fünftel in Dresden auch 100 000 Menschen sind«. Das sei »kein Grund zur Beruhigung«. Claus Dethleff von der Stadtteilinitiative »Laubegast ist bunt« äußert zudem den Eindruck, dass sich die Stimmung in den zurückliegenden Wochen »dramatisch geändert« habe. »Ich fürchte, die Mitte tendiert inzwischen zur dunklen Seite der Macht«, sagte er. Die Initiative engagiert sich seit einem Jahr für die Unterbringung von Flüchtlingen im Stadtteil; Dethleff berichtet von offenen Anfeindungen, vor allem aber von einer fast vollständigen Gesprächsverweigerung der Gegner. Der von der Studie suggerierte Eindruck, auch Dresden sei im Kern eine liberale Großstadt, »deckt sich mit meiner Beobachtung nicht«, sagt er. Fehser räumt ein, dass es Vergleichszahlen zu anderen Großstädten nicht gebe. Die Frage, ob Dresden »brauner« sei als andere Metropolen, kann die Erhebung so nicht beantworten.
Nicht beantwortet wird auch eine Frage, die im Kern der Debatten um Pegida steht: Warum wehrt sich Dresden kaum? Zwar brachte das Bündnis »Herz statt Hetze« am vergangenen Montag bis zu 19 000 Menschen auf die Straße; bei wohlwollender Schätzung waren das annähernd so viele Teilnehmer, wie Pegida an diesem ersten Jahrestag der Bewegung mobilisierte. Anders als den Protestinitiativen gelingt es Pegida nach einem zwischenzeitlichen Tief aber, solche Menschenmassen jede Woche zu aktivieren. Der Protest indes war zwischenzeitlich fast eingeschlafen: »Manchmal war ich der Einzige«, sagt Dethleff. Vor allem die bürgerliche Mittelschicht hält sich fern – ein Phänomen, das bereits beim Widerstand gegen die Naziaufmärsche zum 13. Februar beobachtet wurde. Dort fand man mit der Menschenkette indes eine Protestform, um breitere Schichten anzusprechen – auch wenn das entscheidende Mittel zur erfolgreichen Vergrämung der Nazis die Straßenblockaden blieben. Im Fall des Protests gegen Pegida will »Herz statt Hetze« in naher Zukunft über wirksame Formen beraten; »Dresden nazifrei!« plant gar eine Strategiekonferenz. Dass es genügend potenzielle Teilnehmer für Proteste wie auch mögliche Helfer für Flüchtlinge gibt – das immerhin zeigt die Studie.
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