Lauter verpasste Chancen
Stefan Gärtner: »Putins Weiber« - es geht aber nicht um Wladimir, sondern um Waldemar
Natürlich ist Putin nicht Putin. Im Gegenteil, der Held in Stefan Gärtners Roman »Putins Weiber« hat wenig bis gar nichts mit dem russischen Präsidenten zu tun. Aber seit in einer Zeitung versehentlich von »Waldimir Putin« die Rede war, hatte Waldemar Winkelhock seinen Spitznamen weg - und wurde ihn nicht mehr los.
Das »war nicht eben vorteilhaft«, aber er hätte auch nicht »unbeschadet zu seinem Taufnahmen zurückkehren können - Waldemar, das war ganz ausgeschlossen«. Und was die »Weiber« angeht, ist da nicht viel, außer Simone, die ihn bald verließ und, ja, Vera, mit der er schon sehr lange zusammen ist. Die ihm dann aber, zu Beginn des Romans und unter Tränen eröffnet, sie hätte ihn betrogen und bräuchte erst »mal Zeit für sich«. Dann schlägt sie noch vor, sie sollten jetzt einfach mal »Single spielen«, er hätte jetzt ja sowieso »eine gut« bei ihr. Worauf sie dann erst mal zu einer Freundin nach Berlin zieht.
Doch Putin ist unwillig. War er doch mit Vera zufrieden. Allerdings trauert er auch nicht. »Er weiß bloß nicht, wie es weitergehen soll, und das, das weiß er, ist das Schlimmste.« Dann aber erinnert er sich an seine »Weiber«. Das heißt an die Frauen, in die er einmal verliebt war, denen er es aber nicht zu sagen wagte. Zumal sein Freund Georg ihm berichtet, dass ihn Manuela, eine dieser Frauen, eigentlich ganz nett findet. Und dass er Veras Einladung zum Seitensprung einfach nutzen sollte. Und siehe da, Putin springt über seinen Schatten aus Unentschlossenheit und Schüchternheit. Er sucht im Internet nach Spuren der verpassten Chancen und findet ihre Adressen. Er trifft sich mit ihnen, aber dann kommt es natürlich anders, als er und der Leser erwartet haben.
Ohne Zweifel ist die Stärke von »Putins Weiber« die witzige Schreibweise. Stefan Gärtner hat jahrelang als Redakteur beim Satiremagazin »Titanic« gearbeitet, für das er immer noch schreibt. Er hat ein Faible für bissige Ironie, schräge Vergleiche und Metaphern. Dass Putin trotz der ironischen Distanz die Sympathie des Autors besitzt, ist von Anfang an klar. Das gilt auch für seine »Weiber«, die durchweg selbstbewusste Frauen sind. Allerdings wird Stefan Gärtner immer mal wieder sentimental, zum Beispiel dort, wo es um Putins Kindheit geht. In der zweiten Hälfte des Romans zeigen sich dann auch weitere Schwächen des Buches. Man stellt fest, dass fast alle Figuren über dieselbe Ironie, denselben Sprachwitz verfügen wie der Erzähler.
Auch Putin selbst, aus dessen Ich-Perspektive ein Großteil der Geschichte erzählt wird, redet nicht anders. So wird zum Beispiel am Anfang beschrieben, wie er und Vera »in einem offiziellen Tonfall miteinander [reden], wie Kinder, die erwachsen spielen«. Dann aber spricht eine der Frauen, in die er einmal verliebt war, im gleichen Tonfall von ihren »ordnungsgemäß auf die Welt« gebrachten Kindern.
Der Sprachwitz, der einen zu Beginn der Lektüre so überrascht und zum Lachen gebracht hat, wirkt am Ende wie das immer gleiche Ornament, das mal mehr, mal weniger witzig ist, dessen Sinn sich dem Leser aber darüber hinaus nicht erschließt.
Warum schreibt Stefan Gärtner von einem Ledersessel, gegen den weder der Erzähler, noch Putin etwas zu haben scheinen? Und dass er »hundehaufenbraun« sei. Warum bezeichnet er einen »CD-Player« als »Abtastlaser«? Das mag in journalistischen Texten funktionieren; für einen Roman ist es zu wenig.
Stefan Gärtner: Putins Weiber. Roman. Rowohlt, Berlin 2015. 201288 S., geb., 19,95 €.
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