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Großhirn an Kleinhirn

In »Alles steht Kopf« streiten fünf Sinne um die Stimmung einer Teenagerin

  • Katharina Dockhorn
  • Lesedauer: 4 Min.

Ekel, Angst, Wut, Freude und Kummer sind die Stars von »Alles steht Kopf«, dem jüngsten Geniestreichs aus dem Hause Pixar, das seit der Premiere von »Toy Story« vor knapp 20 Jahren die Animationswelt mit Filmen wie »Findet Nemo« oder »Oben« revolutionierte. »Ales steht Kopf«-Regisseur Pete Docter steht in dem kreativen Team für intellektuelle Stoffe wie »Wall:e – der letzte macht das Licht aus« und »Monster AG«.

Ekel warnt Riley zuverlässig vor Brokkoli und anderen Scheußlichkeiten, Angst steht ihr in jeder kniffligen Situation bei, und Wut sorgt für einige Ausbrüche. Nur die traurige Kummer hat ihren Platz unter den fünf Sinnen im Kopf des Mädchens noch nicht gefunden, in dem die optimistische Freude das Denken und Handeln bestimmt. Doch nun ist die Elfjährige mit ihren Eltern aus Minnesota nach San Francisco gezogen. Sie vermisst ihre Freunde und das Eishockeyspiel. Freude ist ratlos, wie sie Rileys Stimmung aufhellen soll.

Rileys aussichtslose Situation lässt den Streit in der Kommandozentrale des Gehirns, in der die fünf Sinne per Knopfdruck die Gefühlslage des Mädchens bestimmen, eskalieren. Freude und Kummer fliegen raus. Das verbliebene Trio richtet fortan ein heilloses Chaos und lässt Rileys Gefühlsleben verrücktspielen. Angst blickt ihr über die Schulter, wenn sie durch das neue Haus geht. Wut übernimmt das Kommando, als Riley nach dem ersten Schultag wieder auf ihren Vater trifft.

Freude und Kummer bahnen sich indes auf den Nervenbahnen einen Weg durch Rileys Gehirn, um zur Kommandozentrale zurückzukehren und ihr seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen. Sie entdecken im Labyrinth des Gehirns das Phantasyland, das Unterbewusstsein, der Traumwelt sowie den Friedhof der verdrängten Erinnerungen und die Inseln, auf denen der Sinn für Freundschaft, Familie oder Sport gespeichert ist.

Der 3-D animierte Film entführt auf eine leicht verständliche und amüsante Abenteuer-Reise durch das menschliche Gehirn und seine Psyche. Die Entwicklung des Projekts begann, als Docter die Veränderungen im Gefühlsleben seiner Tochter beim Übergang von der Kindheit ins Teenageralter gewahrte. Die unbeschwerte Kindheit war vorbei. Kummer beginnt ihre Stimme im Klang der fünf von den Filmemachern ausgewählten menschlichen Sinne zu finden. »Auch in mir kämpfen ständig Freude und Angst,« gesteht Docter. »Ich frage mich ständig, bin ich gut genug und wird alles funktionieren? Wenn der Film dann gut angenommen wird, fühle ich mich sofort besser«.

Wie einst Pete Docter zieht Riley aus dem Nordosten der USA ins sonnige Kalifornien, wie das Mädchen liebt er Eishockey. Und wie stets im Hause Pixar greifen die Filmemacher nicht nur auf ihr Umfeld und ihre Erfahrungen zurück. Sie haben Hausaufgaben gemacht und sich tief in die Materie der Gehirnforschung begeben, um das Funktionieren unsers Sinnesorgans sinnlich erfahrbar zu machen. »Unser Gehirn gestalteten wir im Film als eine Kombination aus Apple Store und `Small World` aus Disneyland,« erzählt Pete Docter. »Die Modelle unserer DNA und unserer Synapsen brachten uns auf die Idee, die Verbindungen zwischen den einzelnen Gehirnregionen wie Straßen zu gestalten. Und dass unser Gehirn arbeitsteilig arbeitet und bestimmte Regionen für bestimmte Fähigkeiten und Sinne zuständig sind, inspirierte uns, den Erinnerungen verschiedene Inseln zuzuweisen.«

Docter und sein Team gehen inhaltlich noch einen Schritt weiter. Jeder Erinnerung in Rileys Kopf ist in einem Ball gespeichert, sie sind blau für schmerzliche Momente, rot für die Wutattacken oder orange für die unzähligen Stunden unbeschwerten Glücks. In Regalen hinter der Kommandozentrale sind sie in riesigen Schränken ordentlich archiviert. Mit der Entwicklung Rileys verändern sie langsam ihre Farben. »Während der Recherche lernten wir, dass sich Erinnerungen verändern. Wenn man zu seiner Großmutter ein tolles Verhältnis hatte, werden die Erinnerungen nach ihren Tod bittersüß. Das Glück kriegt einen Beigeschmack durch den Verlust. Das zeigen wir im Film, in dem wir die Farben der Erinnerungsbälle verändern. Die orangen Glücksbälle bekommen einen blauen Schatten, wenn sich Kummer in die Erinnerung mischt.«

Die geglückte visuelle Umsetzung solcher Erkenntnisse würzt den wohl poetischsten Film, den Pixar je drehte. »Nachdem wir verstanden hatten, dass die Geschichte dieser Komödie sehr komplex ist und eventuell für Kinder schwerer verständlich, mussten wir sie über den Spaß und die emotionale Ebene packen,« gesteht der Regisseur.

»Alles steht Kopf« beantwortet mit leichter Hand die Frage, wie der Mensch tickt, was seine Stimmungen und Wahrnehmungen bestimmt. Er gibt ein wenig Nachhilfeunterricht für alle, die in Bio gepennt haben. Aber vor allem hält er dem Mensch mit einer mitreißenden Story voller liebevoll beobachteter Augenblicke den Spiegel vor. Denn Hand aufs Herz, welche Eltern haben niemals den Nachwuchs mit Flugzeugen und Löffelreisen abgelenkt, damit Brokkoli und Spinat nicht an der Wand landeten.

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