Brandbrief gegen rechte Übergriffe

Alice-Salomon-Hochschule in Marzahn-Hellersdorf fordert Sicherheit für Geflüchtete und Unterstützer

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.
Geflüchtete werden berlinweit in Zelten, leeren Gebäuden oder Containerdörfern untergebracht. Im Bezirk Marzahn-Hellersdorf ist rechter Protest gegen Flüchtlinge am heftigsten. Und er dauert an.

Weil es schon lange nicht bei rechtspopulistischen Kundgebungen bleibt, sondern gewalttätige Übergriffe nicht nachlassen, hat die Alice-Salomon-Fachhochschule jetzt in einem Brandbrief den Bezirk dazu aufgefordert, die Sicherheit von Geflüchteten wie auch Unterstützern zu gewährleisten: Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf rangiert seit 2013 auf den unteren Plätzen in der Verteilung von Geflüchteten. Waren es in anderen Bezirken schon rund 1000 Asylsuchende, lebten in Marzahn-Hellersdorf nur wenige hundert Geflüchtete. Der Protest gegen neue Unterkünfte ist hier jedoch am lautesten.

Die vor rund zwei Wochen eröffnete Notunterkunft am Glambecker Ring sowie die Mitte Juni fertiggestellte Flüchtlingsunterkunft am Blumberger Damm stehen derzeit im Fokus von Neonazis und rassistischen Anwohnern. So zählt die antirassistische Registrierstelle der Alice-Salomon-Hochschule mindestens vier flüchtlingsfeindliche Kundgebungen, zwei tätliche Angriffe auf Heimbewohner, mehrere Versuche von rechten Gruppen, auf das Gelände der Unterkunft am Glambecker Ring zu gelangen sowie Anschläge mit Pyrotechnik. Zudem träfen sich organisierte Rechte regelmäßig in den angrenzenden Straßen, um eine Atmosphäre der Angst zu schaffen und Unterstützer einzuschüchtern. »Es ist erschreckend, dass in Marzahn nahezu kein Tag mehr ohne Vorfälle und Einschüchterungsversuche durch Neonazis vergeht. Wir wissen von Geflüchteten, die sich nicht mehr alleine aus der Unterkunft heraus trauen und von Unterstützern, die aus Angst vor rechtsextremer Gewalt der Unterkunft fern bleiben«, erklärt Luisa Seydel von »Hellersdorf hilft«. Mut mache ihr aber die große Zahl von Unterstützern aus dem Bezirk.

Einer der von den Attacken Betroffenen ist Ibrahim. Er sitzt auf einem Stuhl. Der Baum neben ihm wird von der herbstlichen Nachmittagssonne angestrahlt. Seine Augen sind halb geschlossen und doch wirkt sein Blick hellwach. Hinter ihm erhebt sich ein vierstöckiger Plattenbau. Gardinen in den Fenstern setzen kleine Farbtupfer: Der 31-Jährige sitzt im Hof der Flüchtlingsunterkunft an der Carola-Neher-Straße / Maxie-Wander-Straße im Stadtteil Hellersdorf. Er ist Syrer mit jordanischen Wurzeln. Er hat Elektrotechnik studiert. Vor den Fassbomben des Assad-Regimes und dem Terror der Islamisten ist er geflohen. Zusammen mit seiner Frau und seiner kleinen Tochter. »Syrien ist am Ende. Es ist die Hölle auf Erden. Ich bin einfach nur froh, hier in Sicherheit zu sein«, sagt er. Um das Flüchtlingsheim in dem Gebäude der ehemaligen Max-Reinhardt-Schule, in dem neben Ibrahim und seiner Familie noch rund 400 weitere Flüchtlinge, zumeist aus Syrien und Afghanistan, leben, ist es in den letzten Monaten ruhig geworden. Als die Einrichtung im August 2013 eröffnet wurde, war das anders.

Die Unterkunft erlangte vor zwei Jahren bundesweit traurige Berühmtheit, nachdem es wochenlang flüchtlingsfeindliche Kundgebungen von Anwohnern und NPD-Kadern sowie rassistisch motivierte Übergriffe organisierter Neonazis im Umfeld des Heims gab. Viele Anwohner hätten sich inzwischen aber mit dem Heim und seinen Bewohnern arrangiert, meint Ibrahim. Darauf angesprochen, ob er zu bestimmten Tageszeiten Angst habe, das Heimgelände zu verlassen, sagt Ibrahim: »Ich habe keine Angst. Aber ich bin ehrlich, nachts würde ich alleine nicht durch Hellersdorf spazieren.«

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