Heimspiel für den Innenminister

Oberhavel diskutiert aufgeschlossen über die anderswo umstrittene Kommunalreform

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Landkreis Oberhavel hat genug Einwohner und keine Schulden. Trotzdem zeigen der Landrat und die hiesigen Bürgermeister Interesse an der Kommunalreform.

An der Dr.-Kurt-Schumacher-Straße 8 in Oranienburg haben sich am Mittwochabend zwei Herren mit einem Transparent aufgestellt. Sie sind von den Brandenburger Vereinigten Bürgerbewegungen und fordern, dass Bürgerentscheide über die von der rot-roten Koalition geplante Kreisgebietsreform durchgeführt werden. Es solle nicht über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden werden, die bei größeren Landkreisen längere Wege zur Verwaltung hätten, erklärt Peter Kurth, Stadtverordneter in Kremmen und Vorsteher im Ortsteil Sommerfeld.

Gleich daneben macht die CDU Stimmung. Die Landtagsabgeordnete Barbara Richstein verteilt Tütchen mit Protestzubehör, darunter der Aufkleber »Meine Heimat Oberhavel« und ein gefaltetes Kunststoffteil, auf dem steht: »Kreisgebietsreform: Wir lassen uns nicht zusammenlegen.« Mit so einem Teil klatschen sich Fans bei Handball- oder Basketballspielen in die Hände, um ihre Mannschaft anzufeuern. Doch vor der Sporthalle des Luise-Henriette-Gymnasiums in Oranienburg wird Richstein die Tütchen zwar los. Aber Lärm macht in der Halle niemand. Obwohl Beschäftigte des Landesfortbetriebs und des Naturparks Stechlin-Ruppiner Land erschienen sind. Sie wären von der Kommunalreform betroffen, wenn das Land ihre Arbeitsstellen tatsächlich zu den Landkreisen verlegt. Auch der Beamtenbund hat einen pensionierten Kollegen als Zuhörer entsandt. Denn der Beamtenbund befürchtet, dass es im Zuge der Reform zu Entlassungen in kommunalen Betrieben kommen könnte.

Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) reist seit der vergangenen Woche durchs Land, um den ersten Entwurf für die Kommunalreform bei Diskussionsveranstaltungen vorzustellen. In die Sporthalle des Luise-Henriette-Gymnasiums sind etwas mehr als 150 Gäste gekommen. Hier in Oranienburg hat Schröter ein Heimspiel. Hier lebt er, hier hat er fast 25 Jahre als Landrat gewirkt, bevor er im Herbst 2014 zum Innenminister ernannt wurde. Der neue Landrat Ludger Weskamp (SPD) arbeitete unter Schröter als Bildungsdezernent. Man kennt sich, man duzt sich.

Trotzdem vertritt Weskamp natürlich die Belange von Oberhavel. Mit Blick auf die beabsichtigte Teilentschuldung der kreisfreien Städte Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) sagt er: »Das hat es noch nicht gegeben. Das Land will eine Kommunalreform machen und die Kommunen sollen es bezahlen.« Denn ein nicht geringer Teil der Summe soll den Kommunen entzogen werden, die finanziell besser dastehen.

Ansonsten zeigt sich Weskamp entspannt. Warum auch nicht? Die Mindestanzahl von 175 000 Einwohnern - »haben wir«, die erwünschte Grenze eines jeden neuen Landkreises zu Berlin - »haben wir«, Schulden - »haben wir nicht«. Oberhavel könnte sich also zurücklehnen und denken, diese Reform geht uns nichts an. Dennoch möchte Weskamp konstruktiv mitdiskutieren. Denn die Kommunalreform beinhaltet mehr als die umstrittene Zusammenlegung von Kreisen. So möchte das Land Verwaltungsaufgaben an Kreise, Städte und Gemeinden abgeben. Weskamp zeigt Interesse. Würden alle dafür vorgeschlagenen Aufgaben delegiert, benötigte die Kreisverwaltung statt 1100 Mitarbeitern künftig 1250 bis 1300, rechnet er vor. Finanzstaatssekretärin Daniela Trochowski sichert zu, dass sich das Land bei der Finanzierung »keinen schlanken Fuß machen würde«.

Auch die anwesenden Bürgermeister hören das gern. Sie möchten ebenfalls mehr Entscheidungsgewalt. Da sollten auch die Kreise Befugnisse abgeben. So sagt Hohen Neuendorfs Bürgermeister Klaus-Dieter Hartung (LINKE): »Ich kann es den Bürgern nicht erklären, dass ein Halteverbotsschild vor dem Rathaus vom Landkreis angeordnet werden muss, dass sie ihren Personalausweis bei unserem Einwohnermeldeamt bekommen, aber wegen ihres Führerscheins zum Kreis müssen.«

Oranienburgs Bürgermeister Hans-Joachim Laesicke (SPD) wendet sich gegen die Idee, Ortsteilen mit mehr als 3000 Einwohnern hauptamtliche Ortsbürgermeister zu geben. Stetig bemüht er sich nämlich, den eingemeindeten Dörfern zu erklären: »Euer Bürgermeister ist jetzt der Hansi Laesicke.« Diesen Kritikpunkt hat der Innenminister in den vorherigen Veranstaltungen immer wieder gehört. Er nehme ihn »sehr ernst«, versichert er. Schließlich werde über einen Entwurf diskutiert. Korrekturen sind möglich. Hier scheint sich eine anzubahnen.

Heiterkeit bricht aus, nachdem Landrat Weskamp Sparkommissare für hoch verschuldete Städte wie Frankfurt (Oder) empfiehlt. Minister Schröter bemerkt schmunzelnd, nächste Woche fahre er zur Diskussion nach Frankfurt (Oder). Da könne der Landrat ja mitkommen und diesen Vorschlag vortragen. Das werde bestimmt »deeskalieren«, meint Schröter ironisch. Denn die kreisfreien Städte wehren sich energisch gegen eine Fusion mit den umliegenden Landkreisen. In Brandenburg/Havel erntete der Innenminister deswegen Pfiffe und Buhrufe.

Dabei soll die sogenannte Einkreisung nicht zuletzt wegen der desolaten Haushaltssituation der kreisfreien Städte bewerkstelligt werden. Oranienburgs Bürgermeister Laesicke versteht die Aufregung nicht. Brandenburg/Havel würde sicher Kreisstadt werden. Als derzeit größte Kreisstadt Brandenburgs fährt Oranienburg doch nicht schlecht. Bedingung ist allerdings, dass Oranienburg Kreisstadt bleibt. Denn bei einer Zusammenlegung von Oberhavel mit Ostprignitz-Ruppin oder dem Barnim könnten auch Neuruppin und Eberswalde in Fragen kommen.

Ein Kommunalpolitiker der Piratenpartei wirft ein, dass es über die neuen Kreisgrenzen Volksabstimmungen mit mehreren Varianten geben sollte. Was die Auswahl der Kreisstädte betrifft, kann sich der Innenminister Bürgerentscheide vorstellen. Insgesamt tauge die Kommunalreform jedoch nicht dafür, bedauert er. Sie sei zu komplex, lasse sich nicht schlicht mit Ja und Nein bewerten. Da müsse man schon dem Landtag vertrauen. Seite 9

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